Plädoyer
für eine facettenreiche Stadtkultur
Ergänzungen zum Entwurf
einer Innenstadtentwicklungskonzeption (ISEK) für Wetzlar
Präambel
Das besondere an dem
vorliegenden Entwurf der Innenstadtentwicklungskonzeption ist der erstmalige
Versuch eines ganzheitlichen Ansatzes, die sehr verschiedenen
Innenstadtquartiere zu analysieren und eine auf die einzelnen Quartiere
abgestimmte Entwicklungsperspektive so zu entwickeln, dass am Ende eine
Innenstadt entsteht, die den Bedürfnissen möglichst vieler Menschen mit
unterschiedlichen Lebensformen mit ihrer Vielfalt Identifikation und Anlaufstelle
bietet.
Dieses „Plädoyer für
eine facettenreiche Stadtkultur“ versteht sich als Ergänzung zu der vom Buero 5
und der Stadt Wetzlar vorgelegten Entwurfs des Innenstadtentwicklungskonzeption
(ISEK).
Nach der Ansiedlung des
Einkaufszentrums „Forum“ hat die Stadt Wetzlar sich sehr verändert. Der Befund
dieser Analyse ist eine wichtige Voraussetzung, damit für die weitere
Entwicklung Wetzlars zukunftstragfähige Antworten gefunden werden können.
Die Altstadt wird im
vorliegenden ISEK als das „Herz“ der Stadt bezeichnet. Wenn die Altstadt das
Herz Wetzlars ist, was ist dann das „Forum“?
Innen- vor Außenentwicklung
Mit Aufgabe
des Bundeswehrstandortes Wetzlar wurden zwei sehr große Konversionsflächen, die
„Spilburg“ und das „Westend“, frei. Es war verständlich und nachvollziehbar,
dass der gelungene Versuch unternommen wurde, Nachnutzungen zu finden, um gar
nicht erst Brachflächen entstehen zu lassen. Neue Nutzer, wie z.B. das „Studium
plus“ wurden in der „Spilburg“ angesiedelt. Im „Westend“ wurden neue
Verkaufsflächen geschaffen, die die Attraktivität der „grünen Wiese“ erhöhten.
Es wurden Nutzungen aus dem Innenstadtbereich, wie z.B. die Volkshochschule,
verlagert. Die Verwertung dieser Konversionsflächen hat der Stadt Wetzlar vermutlich
über ihre Stadtentwicklungsgesellschaft ein gutes finanzielles Polster
außerhalb des städtischen Haushaltes beschert.
Solange die
Innenstadt keine eigenen Probleme hatte und der demographische Wandel in seiner
Bedeutung noch nicht erkannt wurde, war diese Entwicklung von Außenflächen, also
von Flächen an der Peripherie, ohne negative Auswirkungen auf die
Innenstadtentwicklung.
Das ist heute
anders. Die Innenstadt verödet in weiten Teilen. Im ISEK Entwurf wird zu Recht
die mangelnde Frequenz in der Altstadt beklagt.
Da es sich um
die Kernstadt handelt, fällt das negative Erscheinungsbild innerstädtischer
Brachflächen und großflächiger Leerstände noch viel mehr ins Gewicht als
periphere Brachflächen und Leerstände. Angesichts des demographischen Wandels
und damit einhergehender Schrumpfungsprozesse muss der Realität ins Auge
geschaut werden: Brachflächen und Leerstände werden zu- statt abnehmen.
Daher bekennt sich das ISEK deutlich
zu Innen- vor Außenentwicklung!
Im Rathaus
muss eine zentrale Task Force
eingerichtet werden, die nur die Aufgabe hat, alle Planungen in der Stadt
darauf hin zu untersuchen und zu prüfen, ob die Ansiedlung in der Innenstadt
möglich ist und wie diese möglichst nutzenstiftend für die Innenstadt umgesetzt
werden kann.
Einkaufszentrum „Forum“
In einem
Interview bezeichnete Sven Martens, der Center Manager des Einkaufzentrums „Forum“,
das „Forum“ als den „Marktplatz der Region“ (Forum Wetzlar Aktuell; 1. Januar
2012).
Das „Forum“
ist fester Bestandteil der Wetzlarer Innenstadt. Bei aller kritischer
Betrachtung: Das „Forum“ ist auch Chance für Wetzlar! Die große Herausforderung
für Wetzlar besteht darin, Besucher des Einkaufszentrums „Forum“ davon zu
begeistern, durch die Wetzlarer Innenstadt schlendern zu wollen.
Eine wichtige
Herausforderung besteht darin, die Besucher des Forums so zu begeistern, dass
sie durch Wetzlar schlendern wollen .Das „Forum“ bietet mit seiner Mall einen
halböffentlichen Raum. Hier werden Menschenmassen durchgeleitet.
Öffnungstäglich hat das Forum durchschnittlich 20.000 Besucher. An den
Adventssamstagen steigert sich die Besucherzahl auf über 50.000 (Die Stadt
Wetzlar hat insgesamt ca. 52.000 Einwohner). Das Centermanagement unternimmt
alles, um eine Einkaufsatmosphäre zu schaffen und damit die Verweildauer im
„Forum“ zu optimieren. Es besteht aber auch kein Zweifel daran, dass diese
Anstrengungen nur einem einzigen Ziel dienen: Die Besucher zu möglichst hohem
Konsum zu bewegen. Diesem Ziel sind alle anderen Aspekte untergeordnet.
Die im
„Forum“ angebotenen Waren und Dienstleistungen sind sehr an der
Alterszielgruppe „bis 30“ orientiert. Das „Forum“ ist offensichtlich in diesem
Segment erfolgreich. Die Tatsache, dass gerade junge Menschen ihre
„Einkaufssozialisation“ in einem Einkaufszentrum wie z.B. dem „Forum“ erfahren,
hat Langzeitwirkung: Wer als Jugendlicher seine Einkaufsbedürfnisse im „Forum“
befriedigt, der wird im Alter kaum sein erlerntes Einkaufsverhalten so
umstellen, dass er dann Kunde der Altstadtgeschäfte wird.
Die
Besucherzahlen des „Forums“ zeigen auf, wie Wetzlar von außen, insbesondere von
Besuchern des „Forums“, wahr genommen wird: Als Standort des Einkaufszentrums
„Forum“ und nicht als Kulturstadt mit eindrucksvoller Geschichte und Tradition.
Das Wetzlarer
„Forum“ ist stark und bedarf keines weiteren Supports. Maßnahmen, wie das
Parkleitsystem, das unter dem Deckmantel „City“ Bürger und Besucher der Stadt
ins Parkhaus des Einkaufzentrums „Forum“ führt, sind nicht weiter notwendig.
Die
Innenstadt, von der Altstadt bis in die Bahnhofstraße, bedarf hingegen einer
besonderen Stärkung, so dass die Innenstadt in ihrer Präsentation auch als Gleichgewicht zum „Forum“ wahrgenommen
wird.
Die
Innenstadt muss sich aber auch in der Angebotsvielfalt als Gegengewicht und als Ergänzung zum konsumorientierten
Einkaufszentrum „Forum“ verstehen und sich durch Vielfalt und Anspruch auch
jenseits von Handel positionieren.
Wie Wetzlar
aus der Balance gekommen ist, zeigen folgende Zahlen, die die Gesellschaft für
Konsumforschung im Mai 2008 veröffentlichte: Bei den Städten zwischen 50.000
bis 100.000 Einwohnern belegt Wetzlar beim „Umsatz“ mit 9.996 € pro Einwohner
bundesweit Platz 3; In der Zentralität belegt Wetzlar mit einer
Zentralitätsziffer von 205,6* (hinter Gießen mit einer Zentralitätsziffer von
213,6) bundesweit Platz 4. Die Aktualisierung dieser Kennzahlen würde, obwohl
die Entwicklung in der Innenstadt Wetzlars seitdem dramatisch weiter gelitten
hat, kein anderes Bild ergeben.
Während
Gießen sich seinen Rang im „Selters Weg“ „erarbeitet“ hat, „verdankt“ Wetzlar
seine Platzierungen einzig und alleine dem „Forum“.
Die Wetzlarer
Innenstadt ist mehr als nur das Forum. Die Wetzlarer Innenstadt ist mehr als
eine Handelsagglomeration.
Die Gremien
der Stadt Wetzlar hatten die Kraft, Ja zum Einkaufszentrum „Forum“ zu sagen.
Jetzt braucht die Stadt Wetzlar auch die Kraft
zu weiteren großen Entscheidungen. Eine der wichtigsten Entscheidungen wird
eine neue Verkehrsführung betreffen, welche die Voraussetzungen für eine
Neuausrichtung der Innenstadt erst ermöglicht.
*Bundesdurchschnitt
100
Die Bedeutung des Faktors „Arbeit“
Steigende
Produktivität bedeutet, dass mit weniger Menschen die gleiche Menge oder sogar
mehr produziert werden kann. Die Wirtschaftskraft muss aber die gesamte
Bevölkerung „tragen“. Eine der gesellschaftlichen Herausforderungen wird in der
„gerechten“ Verteilung von Arbeit
bestehen, um so den „Sozialen Frieden“ zu erhalten. Junge Menschen müssen eine
Chance bekommen, eine eigene Existenz und Familie zu gründen. Der Stärkung und
Ansiedlung von Zukunftstechnologien kommt daher eine besondere Bedeutung zu.
Das Leitbild „Optik und Technologie“ ist daher gut für Wetzlar gewählt. In der
optischen Informationsübertragung liegt die Zukunft.
Menschen werden sich immer dort
ansiedeln, wo Arbeit ist, die ihnen ihre Lebensgrundlage erst ermöglicht.
Demographischer Wandel
Immer mehr
Menschen werden immer älter. Das stellt uns auf verschiedenen Ebenen vor große
Herausforderungen.
Ältere
Menschen sind heute länger fit. Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse, denen
Rechnung getragen werden muss.
Dabei geht es
u.a. um die Vernetzung sozialer Angebote, um Wohnungsangebote für Senioren, um
soziale sowie technische Infrastruktur.
Da das
„Forum“ keine Angebote für ältere Bürger und Gäste der Stadt vorhält, müssen
Anbieter von Waren und Dienstleistungen für diese Zielgruppe für den Standort
Wetzlar gewonnen werden. Das ist eine Chance für die heute problematischen
Einkaufszonen.
Die
medizinische Versorgung von Haus- bis zu Fachärzten muss gewährleistet sein.
Das
Miteinander der Generationen muss gefördert werden. Standorte für
Mehrgenerationenhäuser müssen identifiziert und Investoren gewonnen werden.
Unter dem Motto „Alt hilft Jung“ müssen Angebote entwickelt werden, wo jüngere
Menschen auf die Erfahrung älterer Menschen zurückgreifen können. Dies können
Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen sein oder Hilfe bei
Hausarbeiten bis hin zu wissenschaftlichen Arbeiten. Das ist gelebte Generationensolidarität, bei
der sich Menschen jeder Altersstufe auf Augenhöhe begegnen und ihre
alterspezifischen Stärken, von Dynamik und Begeisterungsfähigkeit bis hin zur
Erfahrung und Gelassenheit, einbringen.
Mit dem „Demographischen
Wandel“ geht die Überalterung der Stadtgesellschaft automatisch einher. Ab
einem bestimmten Alter bemühen sich Menschen um einen Stand- und Wohnort, an
dem sie ihren Lebensabend verbringen möchten. Will man das Miteinander der
Generationen fördern, so muss man daher die Attraktivität für junge Menschen
steigern und sich aktiv um jeden jungen Bürger bemühen. Es gilt daher, auch aktiv
den Bedürfnissen junger Menschen Rechnung zu tragen. Solche Angebote sind in
der Freizeit- und Abendgestaltung (mehrere Diskotheken, die die Wertigkeit
eines Standortes aus Sicht junger Menschen unterstreichen) zu entwickeln. Eine
Stadtgesellschaft ist dann für alle attraktiv, wenn Menschen verschiedener
Altersgruppen, gut durchmischt, miteinander in einer Stadt leben.
Auf Dauer
wird die Finanzierung von Alten- und Pflegeheimen nicht mehr leistbar sein, so
dass neue Betreuungsformen entwickelt werden müssen. Eine solche neue
Betreuungsform kann in dem Angebot von „Seniorengärten“ bestehen. Erwachsene
Kinder haben die Möglichkeit, ihre Eltern, so wie sie es mit ihren Kindern bzw.
den Enkeln der Eltern tun, tagsüber in die Betreuung eines Seniorengartens zu
geben, um nach der Arbeit die Betreuung wieder eigenverantwortlich innerhalb
der Familie zu übernehmen.
Notwendigkeit, Leitbilder zu
identifizieren und zu formulieren
„Wenn Du ein
Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen,
Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die
Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (Antoine de Saint-Exupéry).
Bei der
Definition von Leitbildern geht es darum, mögliche inhaltliche Ziele zu
beschreiben. Denn nur dann, wenn man weiß, wohin man will, wo das Ziel ist,
kann man alle Kraft einsetzen, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Leitbilder müssen so entwickelt
werden, dass ein unverwechselbares Profil Wetzlars entsteht.
Begründung der Leitbilder
Die Leitbilder einer Stadt sollten
authentisch sein,
sich möglichst aus der Stadtgeschichte ergeben, von den Bürgern entdeckt, aus
der Bürgerschaft selbst entwickelt und an die Stadtoberen weiter gegeben werden.
Es ist Ausdruck einer lebendigen
Stadtkultur, wenn eine Stadtgesellschaft über ihre Leitbilder leidenschaftlich
diskutiert.
Wetzlar braucht eine „story“. Die „story“ muss dazu beitragen, dass
die Attraktivität der Innenstadt beginnend bei der Neunutzung von strategischen
Ankergrundstücken Schritt für Schritt gesteigert wird, so dass die Menschen
wieder zurückkommen und die Innenstadt wieder neu mit Leben füllen.
Optik und Technologie
In Wetzlar
wurde die erste Kleinbildkamera der Welt entwickelt. Wetzlar war und ist ein
traditionsreicher Standort der Optik und Feinmechanik. Der „Optikparcours“ und
das „Viseum“, das Wetzlarer Haus der Optik und Feinmechanik und der geplante
„Leitz-Park“ bringen diese „wetzlarspezifische“ Kompetenz anschaulich den Bürgern
und Besuchern der Stadt nahe, so dass die Verbindung der Stadt mit Optik und
Feinmechanik nachvollziehbar ist.
In Wetzlar
befindet sich mit 70 Unternehmen das hessenweit größte Cluster der Optik und
Feinmechanik.
Bundesweit
könnte sich lediglich die Stadt Jena noch als Optikstadt glaubhaft
präsentieren.
Stadt an Lahn und Dill
Flüsse waren
wichtige Verkehrs- und Transportadern, an denen sich Siedlungen entwickelten.
Gleichzeitig stellten sie auch immer Bedrohungen dar. Angesichts extremer
Wetterlagen wird dem Hochwasserschutz zukünftig eine größere Bedeutung
zukommen.
Diese
Ambivalenz gegenüber der Lahn spiegelt sich darin wieder, dass sich fast alle
Gebäude in Wetzlar von der Lahn abgewandt präsentieren.
Historisch
war das „Neue Zentrum“ ein von Wasserwegen durchzogenes Quartier. Die
Wasserwege eigneten sich mit steigendem Verkehrsaufkommen hervorragend als
Entwicklungsflächen für Straßen, welche daher den heutigen Innenstadtbereich
dominieren.
Die Lahn ist für Wetzlar ein
bedeutender Tourismus-Anziehungspunkt.
Lahnrad- und Lahnbootsreisen lassen die Lahntouristen die Qualität des Flusses
mit Flora und Fauna in und auf dem Wasser und in den Uferbereichen neu erleben.
Für die Rad-
und Bootstouristen muss eine entsprechende Infrastruktur angeboten werden.
Rastplätze mit Fahrradabstellmöglichkeiten bis hin zu Anlegestellen und
Sanitäranlagen müssen den Rad- und Bootstouristen zeigen, dass sie in Wetzlar
willkommen sind.
Die
Uferbereiche im innerstädtischen Gebiet müssen so ausgebaut werden, dass flanierende
Spaziergänger sich ebenso wie Radfahrer oder andere Sportler wohl und sicher
fühlen.
Im
Innenstadtbereich sollten die Lahnufer mit ausreichenden Sitzmöglichkeiten, die
Sicht auf Dom und Altstadtsilhouette ermöglichen, ausgestattet sein.
Wünschenswert
wäre auch die Entwicklung des Uferbereichs so, dass man nah an das Wasser
gelangen kann. Diese Uferbereiche könnten des Weiteren als Lernstationen
ausgebildet werden. Die „Rheintreppe“ im Rahmen der Bundesgartenschau 2011 in
Koblenz könnte auch für die Lahn in Wetzlar als Idee aufgenommen werden.
Auch
Wohnmobilreisende sollten sofort erkennen, dass sie in Wetzlar sehr willkommene
Gäste sind. Innenstadtnahe Aufstellmöglichkeiten, die auf ihre Bedürfnisse
abgestellt sind, sollten Wetzlar als Zieldestination für Wohnmobilreisende
attraktiv machen, da diese eine hoch attraktive Zielgruppe für alle
innerstädtischen Anbieter von Waren und Dienstleistungen darstellen.
Die
Aufwertung der Dill im Stadtbild unterstreicht die Verbundenheit Wetzlars mit dem Einzugsgebiet des Lahn-Dill-Kreises.
Die Entwicklung der Dill und ihrer Uferflächen ist ein noch völlig unbearbeitetes
Potential. Die Dill und ihre Uferbereiche müssen attraktiv neu gefasst und so
gestaltet werden, dass diese mit den vorhandenen Siedlungs-, Industrie- und
Gewerbestrukturen und Grünflächen vernetzt werden. Die Einbeziehung der Dill
sollte so erfolgen, dass ein einheitliches Konzept entsteht, ohne dass die
Flüsse miteinander in Konkurrenz treten.
Letztlich
darf nicht vergessen werden, dass Lahn und Dill für die Wetzlarer Innenstadt
wichtige Frischluftschneisen darstellen.
Stadt mit urbaner Lebensqualität
Das
Miteinander der Nutzungen vom Wohnen über Arbeiten bis hin zum Lernen, sich
Vergnügen, sich Versorgen und Einkaufen ist das charakteristische der
europäischen Stadt. Mit der Dominanz des Handels in der Stadt wurden die
anderen für eine Stadt typischen anderen Nutzungen zurückgedrängt. Dies gilt
auch für die Wetzlarer Altstadt bis hin zur Bahnhofstraße.
Die
Einzelhandelsflächen sind in der derzeitigen Ausprägung in Wetzlar nicht mehr
plausibel. Sie müssen teilweise zurückgebaut werden. Das gilt für Obergeschosse
und für Nebenlagen. Obergeschosse sollten primär wohnungswirtschaftlicher
Nutzung zugeführt werden. Die Schaffung
von Wohnraum führt zu Belebung und auch zu neuer Versorgungsnachfrage.
Gemeinsam mit
anderen attraktiven Funktionen kann so mit den verbleibenden erdgeschossigen
Einzelhandelsflächen ein attraktives Angebot für Bürger und Gäste geschaffen
werden, die ein buntes und lebendiges Stadtbild widerspiegeln.
Die Schaffung
von neuem Wohnraum an der Lahn ist grundsätzlich sehr zu unterstützen.
Lagequalitäten (Sonnenausrichtung, Lahnsicht, Emissionen, etc.) müssen ebenso
berücksichtigt werden wie erhöhte Baukosten aufgrund der Wassernähe. Die
Erfahrungen in anderen Städten zeigen, dass Wohnen am Wasser gehobene
Käuferschichten ansprechen. Dies kann zu einer Verdrängung von Bewohnern, die
auf preiswerten, innenstadtnahen Wohnraum angewiesen sind, führen. Derzeit sind
im „Neuen Zentrum“ gut preiswerte Single-Wohnungen zu vermieten. Eine Nachfrage
besteht auch nach großen, preiswerten Familienwohnungen.
Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung
Zu einer Stadt mit urbaner
Lebensqualität gehört untrennbar eine Stadtgesellschaft mit einer lebendigen
Diskussionskultur.
Bei dem Prozess, für Wetzlar eine
Innenstadtkonzeption zu entwickeln, ist der Weg zum Ziel genauso wichtig, wie
das Ziel selbst. Es
ist wichtig, dass sich möglichst viele Bürger der Herausforderung stellen, mit zu
diskutieren und um den richtigen Weg für Wetzlar zu ringen.
Da die an der
Stadtentwicklung interessierten Bürger keine Kenntnis vom wechselseitigen
Interesse haben, ist es für diese Bürger schwer, miteinander ins Gespräch zu
kommen. Eine Verwaltung im Sinne einer dem Bürger „dienenden“ Verwaltung ist
daher im Einvernehmen mit der Politik dazu aufgerufen, den Bürgern eine
Plattform zu bieten und zu schaffen, um miteinander kommunizieren zu können.
Angesichts
der derzeitigen Situation in weiten Teilen der Innenstadt ist die
Notwendigkeit, einen umfassenden Umdenk- und darauf aufbauenden Umbauprozess
einzuleiten, unverkennbar.
Das kann nur
erfolgreich sein, wenn möglichst alle Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrer
politischen und religiösen Einstellung und Alter einbezogen werden.
Zu lange
wurde die negative Entwicklung in der Innenstadt ignoriert. Viele haben die
Wetzlarer Innenstadt als chancenlos abgetan. Eine wichtige Botschaft des vorliegenden ISEK Entwurfs ist auch, dass
die Wetzlarer Innenstadt trotz und vielleicht auch gerade wegen des
Einkaufszentrums „Forum“ Chancen hat. Um diese Perspektiven solide heraus
arbeiten zu können, bedarf es Zeit. Es ist weltfremd anzunehmen, dass mehr als
10 Jahre vertane Zeit in wenigen Monaten aufgeholt werden kann. Deshalb muss
dem ISEK Prozess die notwendige Zeit eingeräumt werden. Das heißt aber auch,
dass der eingeleitete Prozess jetzt beherzt und konsequent durch- und weitergeführt
werden muss.
Was nicht vorgestern gedacht, gestern
geplant und heute gebaut wird, das kann morgen keine Wirkung entfalten.
Bürgerbeteiligung
mag als aufwendiger Prozess erlebt werden. Es geht aber darum, die Kenntnisse der Bürger aus ihren Quartieren
ebenso wie deren Ideenreichtum und Kreativität aufzunehmen. Die Mühe, die
man sich damit macht, lohnt sich, weil so aufreibende Prozesse und/oder
Frustration, wie sie bei Stuttgart 21 nachträglich notwendig wurden, im
Vorhinein abgearbeitet werden können.
Bürgerbeteiligung ist Identifikation
mit der eigenen Stadt.
Bürgerbeteiligung muss aber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass wir in
einer mobileren Welt leben. Junge Menschen zieht es in die Welt. Daraus
resultiert ein anderes, ein neues Bürgerverständnis. Junge Menschen haben neue
Möglichkeiten der Kommunikation. Auch darauf müssen Beteiligungsangebote
abgestellt werden. Eine weitere Herausforderung besteht in der Einbeziehung
junger Menschen. Sie werden diejenigen sein, die mit dem, was heute an
Stadtentwicklung induziert wird, zukünftig leben müssen.
Das
persönliche Gespräch, in dem sich aus dem Dialog heraus auch neue Ideen
ergeben, ist Kennzeichen einer lebendigen Stadtkultur. Es ist sehr
begrüßenswert, dass die Stadt Wetzlar mit Einrichtung einer „Denk-Werk-Stadt“
in der Langgasse hierfür die Voraussetzungen geschaffen hat. Dieser Ort des Bürgeraustausches muss den
Bürgern für die Dauer des gesamten Prozesses zur Verfügung stehen. Dann ist die
permanente Rückkoppelung zwischen dem Stadtverordnetenparlament als zuständiger
Legislative, dem Magistrat und der Verwaltung als Exekutive und den Bürgern als
Souverän gewährleistet.
Die Bürger
müssen in die Realisierung einbezogen werden, damit sie die umgesetzten
Projekte auch als ihre Projekte annehmen.
Angesichts
schwindender Beteiligung von Bürgern in unserer repräsentativen
Parteiendemokratie und neuer Kommunikationsformen (Internet) ist direkte
Bürgerbeteiligung ein Muss. Politik und
Verwaltung müssen sich wünschen, dass es Bürger gibt, die sich mit ihrer Stadt
identifizieren und sich einbringen wollen, statt sich der Bürgerbeteiligung nur
notgedrungen zu stellen. Die bürgerlichen und politischen Eliten müssen sich
teilweise zurücknehmen, um dem Bürger genügend Raum zu geben, seine Ideen
einzubringen. Es muss für den Bürger erkennbar und nachvollziehbar sein, wie
und wo seine Überlegungen in den weiteren Prozess eingeflossen sind.
Eine Stadtgesellschaft, die
diskutiert, ist Basis für eine lebendige und damit anziehende Stadt.
Wettbewerb mit Umlandgemeinden und
Vernetzung mit der Region
Wir leben im
Europa der Regionen. Nur Regionen sind überlebensfähig, weil sie miteinander
Projekte realisieren können, die die einzelne Stadt alleine nicht
bewerkstelligen kann. Regionale
Vernetzung ist Stärke.
Innerhalb
einer Region kann der Wettbewerb der Kommunen untereinander sehr entwicklungs- und fortschrittsfördernd
sein.
Gießen hat
die letzten Jahre genutzt und hat den „Selters Weg“ herausgeputzt. Dieser wird
von Bürgern und Besuchern angenommen, was sich an der starken Frequenz ableiten
lässt.
Andere Städte,
wie Dillenburg und Marburg, haben die Idee, sich mit einem Einkaufszentrum auf
eigenem Stadtgebiet neu zu positionieren, aufgegriffen. Aus den Fehlern bei der
Ansiedlung von Einkaufzentren in anderen Städten wird man sicher lernen, so
dass dies Rückkopplung auf die bestehenden Einkaufszentren in der Region,
darunter auch das Wetzlarer „Forum“, haben wird.
Neben der
konkreten gemeinsamen Bearbeitung von Projekten könnte ein Hauptfeld der
Zusammenarbeit in einem miteinander abgestimmten Marketingauftritt bestehen.
Die
gemeinsame Arbeit am und im „Lahnpark“ bietet eine konkrete Chance der
Vernetzung.
Bildung als herausragender
Standortfaktor
Das
Schulangebot ist bei der Standortwahl junger Familien ein wichtiger Faktor.
Eine
hervorragende Bildung ist das tragende Fundament für die Zukunft junger Generationen,
unabhängig von ihrer Herkunft.
In dem vom
Bundesministerium für Verkehr, Bauwesen, Städtebau und Raumordnung (BMVBS)
herausgegebenen „Weißbuch Innenstadt“ wird an zwei Stellen der deutliche
Hinweis gegeben, dass Schulen in der Innenstadt von Städten angesiedelt werden
sollen. Dies wird insbesondere auch unter dem Aspekt der Integration als
förderlich hervorgehoben. Die derzeit geführte Diskussion über den Neubau der
Goethe-, der Käthe-Kollwitz- und der Theodor-Heuss-Schule muss unter diesem Gesichtspunkt
neu eröffnet werden. Die Freigabe des jetzigen Standortes der Goetheschule
ermöglicht über die Grundstücksverwertung des Altstandortes neue finanzielle
Spielräume.
Jede moderne
Schule ist bemüht, das städtische Leben in das Schulleben zu integrieren. Den
größten Teil des Tages verbringen Schüler in der Schule. Das Nebeneinander von
Schule und städtischem Leben ist für die Sozialisation junger Menschen daher
unverzichtbar.
Die
Volkshochschule zurück in die Wetzlarer Innenstadt zu holen, ist ein
unterstützenswerter Ansatz. Allerdings handelt es sich um Bildungsangebote, die
mehr in die Abendstunden verlagert sind und die eigentlich vorrangig wohnortnah
in den Ortsteilen angeboten werden sollten. So sollten Sprach- und
Integrationskurse der VHS durchaus „vor Ort“, z.B. im „Westend“, angeboten
werden.
Die
Volkshochschule in der Bahnhofstraße kann keine oder nur eine sehr geringe
Wirkung auf die Stadtentwicklung ausstrahlen. Ihre Attraktivität ist zu gering,
um ein Quartier wie die Bahnhofstraße zu beleben.
Hochschulstandort Wetzlar
In der
rohstoffarmen Bundesrepublik kommt der Bildung eine besondere Bedeutung zu.
Nicht nur, dass Bildung ein Thema ist, das alle Generationen miteinander
verbindet (an einer guten Bildung für den gemeinsamen Nachwuchs haben Eltern-
wie Großelterngenerationen ein hohes Interesse), Bildung ist das Fundament für
eine gute Zukunft von jungen Menschen jeglicher Herkunft.
Das „Studium
plus“ wird von Studierenden und Unternehmen geschätzt. Es handelt sich um
Studienangebote, die in Zusammenarbeit mit der heimischen Wirtschaft entwickelt
wurden und fortgeschrieben werden. Viele der Studierenden kommen aus der
Region. Der aktuelle Raumbedarf kann in den jetzigen Räumen in der „Spilburg“
nicht mehr befriedigt werden.
Die Raumneuorientierung
sollte zum Anlass genommen werden, auch über die Standortfrage neu
nachzudenken. In der Innenstadt gibt es
viele Reserveflächen, die Platz für einen Hochschulbetrieb bieten (z.B.
Lahnhof, Mauritiushaus, Union in Verbindung mit dem Euler-Haus).
Über eine Erweiterung des
Hochschulangebotes um einen überregional ausstrahlenden grundständigen
Studiengang, um so den Hochschulstandort Wetzlar zu stärken, sollte nachgedacht
werden. Zusätzliche
Studienangebote sollten überregional ausstrahlen. Über die Belebung der
Innenstadt mit jungen Menschen durch die Hochschuleinrichtungen könnte so noch
weiterer Bedarf an Bildungsinfrastruktur, studentischem Wohnraum und Angeboten
für das studentische Leben, von der Gastronomie, bis hin zur Nahversorgung, geweckt
werden.
Die
Studienangebote in Wetzlar bieten über Kooperationen mit den Universitäten in
Gießen und Marburg gute Möglichkeiten der überregionalen Vernetzung.
Gelebte Integration
Wetzlar hat
seinen ausländischen Mitbürgern viel zu verdanken. Sie haben am Aufbau der
Stadt und seinem einstigen und heutigen Wohlstand mitgewirkt. Dafür sind alle
Wetzlarer dankbar. Viele dieser ausländischen Mitbürger sind in Wetzlar
geblieben und in Wetzlar angekommen und haben hier mit ihren Familien eine Heimat
gefunden. Nunmehr lebt schon die dritte Generation in Wetzlar. Es gibt keinen
Zweifel: Diese Mitbürger sind Deutsche, sind Wetzlarer!
Eine große
Herausforderung besteht in Wetzlar darin, die kulturelle Vielfalt der Stadt
zusammenzuführen. Vom Nebeneinander zum
Miteinander muss das Ziel sein.
Ein „Haus der Integration“ oder ein „Haus der Kulturen“ in der Innenstadt kann
ein Ort der Begegnung sein, an dem kulturelle Vielfalt zusammengeführt wird. In
einem solchen „Haus der Integration“ können Vereine aus allen Kulturkreisen,
insbesondere auch die aus der Region selbst, im sozialen Miteinander Toleranz
leben. Im Erdgeschoss könnten Warenangebote aus verschiedenen Kulturkreisen
platziert werden.
Wichtig wird
es sein, das Nebeneinander von heimischer und zugewanderter Kultur zu pflegen.
Darüber
hinaus kommt dem Sport, insbesondere dem Mannschaftssport, eine wichtige
Bedeutung bei der „gelebten Integration“ zu. Wetzlar ist auch „Sportstadt“. Davon zeugen die „HSG“,
die „Rollis“, der „Tanzclub Schwarz-Rot“, der „Turnverein Wetzlar von 1847“,
der Funtastic Sport, die Sportjugend Hessen, das Turnzentrum und insbesondere die
„Eintracht Wetzlar 05“. Gerade der Fußballverein zeigt, wie Menschen
unterschiedlicher Herkunft zusammen spielen und ein gemeinsames Ziel verfolgen
können.
Gesundheit
Die
Bereitstellung einer umfassenden Gesundheitsinfrastruktur ist eine der
Herausforderungen der Zukunft. Unabhängig davon, wie sich die Wirtschaft
entwickeln wird, an Gesundheitsinvestitionen wird zu Recht zuletzt gespart. Im
Zusammenhang mit dem „Demographischen Wandel“ kommt dem Thema Gesundheit daher
eine zentrale Bedeutung zu. Gesundheitseinrichtungen sollten, damit sie auch
für viele Menschen aus der Stadt und der Region erreichbar sind, in der
Innenstadt verortet werden.
Ältere
Menschen legen großen Wert auf gesundheitliche Betreuung. Aufgrund der hohen
Spezialisierung und des anspruchsvollen Geräteeinsatzes kann eine ganzheitliche
gesundheitliche Betreuung nur in Oberzentren angeboten werden. Diese
oberzentrale Funktion im Gesundheitswesen muss Wetzlar für die Region an Lahn
und Dill ausbauen.
Ein innerstädtisches „Medizinisches
Versorgungszentrum“ (MVZ), das damit auch für Menschen aus der Region gut
zu erreichen ist, würde die Wetzlarer Innenstadt in ihrer multifunktionalen
Ausrichtung stärken.
Darin liegt
gleichzeitig auch eine Chance für junge Menschen; denn die älteren Mitbürger
brauchen persönliche Betreuung. Diese Betreuung geht weit über das
medizinisch-technische Personal hinaus. Es geht auch um Pflegepersonal in Alten-
und Pflegeeinrichtungen.
Das
Oberzentrum „Gesundheitsstadt Wetzlar“
bietet für Wetzlar die Chance, sich auch als Demographiegewinner zu positionieren.
Ohne Verkehrsentlastung ist alles
nichts
Das
Primärziel, hohe Aufenthaltsqualität in der Wetzlarer Innenstadt anbieten zu
können, kann nur erreicht werden, wenn sie vom Durchgangsverkehr entlastet
wird.
Verkehr muss sich dem urbanen Leben
unterordnen.
Die Verkehrsentlastung der Innenstadt
schafft erst die Voraussetzungen, um überhaupt Aufenthalts- und Wohnqualität erreichen
zu können und so das Leitbild einer Stadt mit urbaner Lebensqualität
realisieren zu können.
Die „Westtangente“ mag von allen schlechten
Lösungen die beste sein. Vor allem aber: Sie ist überhaupt ein Ansatz, um die
Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu befreien. Nach jahrelangem Stillstand ist
jetzt eine beherzte Lösung längst überfällig.
Öffentlicher Raum
Räume sind
Angebote an Menschen. Erst Menschen
füllen Räume mit Leben und geben ihnen eine eigene Atmosphäre und einen eigenen
Charakter.
Es geht um
die Schaffung von Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Insbesondere muss
ein attraktives Gegengewicht zum halböffentlichen Raum im „Forum“ geboten
werden.
Die
Funktionen des öffentlichen Raumes sind zu definieren. Auch die Übergänge von
privatem und öffentlichem Raum müssen definiert werden.
Die Innenstadt muss sich hell
präsentieren, barrierefrei und behindertengerecht, sauber und angstfrei sein.
Es bedarf der
„ordnenden Hand“: Heute zeichnen unterschiedlichste Gestaltungselemente und
Informationssysteme den öffentlichen Raum aus. Dadurch entsteht ein sehr
uneinheitliches Erscheinungsbild. Auch die Quartiere jenseits der „Alten
Lahnbrücke“ bis zum „Forum“ brauchen einen Gestaltungsbeirat oder ein
Quartiersmanagement, welches sich um solche Belange kümmert.
Plätze müssen
als Plätze und nicht als Verkehrsknoten erlebbar werden.
Aufgrund der
Dominanz des „Forums“ ist das Interesse externer Investoren und Nutzer am
Standort Wetzlar nicht vorhanden. Um Investoren- und Nutzerinteresse zu wecken,
müssen daher zunächst inhaltlich attraktive Rahmenbedingungen geschaffen
werden. Perspektiven für eine positive, zukunftsfähige Stadtentwicklung müssen
formuliert und umgesetzt werden.
Es müssen
aber schnellstens auch die Umfeldbedingungen
für Investitionen geschaffen werden. So wie bei der Ansiedlung des
Einkaufszentrums „Forum“ in einem städtebaulichen Vertrag Investitionen der
Stadt Wetzlar zur Schaffung eines für das „Forum“ attraktiven Umfeldes
festgelegt wurden, so müssen auch jetzt attraktive Umfeldbedingungen im
öffentlichen Raum geschaffen werden.
Diese Investitionen müssen vorauseilen
und durch die Stadt Wetzlar getätigt werden, denn externe Investoren sollen, anders als bei der Ansiedlung
des „Forums“, erst mit diesen Investitionen in den öffentlichen Raum gelockt
werden. So muss die Bahnhofstraße Süd endlich dem Ausbaustandard der
Bahnhofstraße Nord angepasst werden, der Buderusplatz bedarf einer attraktiven Gestaltung
als Platz, der Karl-Kellner-Ring muss Aufenthaltsqualität erhalten, die
Langgasse muss, z.B. durch durchgängige Arkadengänge auf beiden Straßenseiten,
aufgewertet werden.
Dem
öffentlichen Raum, als Ort der Begegnung und der Kommunikation, kommt im
Internetzeitalter eine steigende, statt einer sinkenden Wertschätzung zu. Er
ist der Ort, in dem sich urbanes Leben abspielt und gesellschaftliche
Erneuerung stattfindet. Im öffentlichen Raum gelten Aufenthalts- und
Verhaltensregeln, so dass der öffentliche Raum als „sozialer Lernort“
verstanden werden kann.
Stadtgrün
Eine
besondere Rolle spielen Grünflächen im öffentlichen Raum.
Die besondere
Qualität des Grünzuges um die Altstadt, der allerdings geschlossen werden
sollte, wurde im ISEK Entwurf bereits deutlich hervorgehoben.
Aber auch für
die anderen Innenstadtbereiche muss ein Grünflächenkonzept erarbeitet und
umgesetzt werden.
Diese
Möglichkeit eröffnet sich erst in größerem Stil mit der Verkehrsentlastung der
Innenstadt. So bald sich diese abzeichnet, sollte die Neuplanung der
Innenstadtquartiere unter dem Aspekt der Grünflächenplanung vorangetrieben
werden. Die „grüne“ Bahnhofstraße „Süd“ könnte allerdings schon kurzfristig
umgesetzt werden. Die Grünflächenplanung sollte wesentliches Element zur
Attraktivitätssteigerung des Buderusplatzes und des Karl-Kellner-Rings werden.
„Junge Stadtkunst“
Die Frage, ob
man eine Stadt von morgen plant, wird sich daran messen lassen müssen, wie
ernsthaft man heute den Bedürfnissen junger Bürger Rechnung trägt.
Zur Urbanität
gehören junge Menschen mit ihren Ideen und ihren Kommunikationsbedürfnissen.
Eine Form des Sich-Darstellens besteht in Graffitis.
Für viele
Städte stellt dies ein großes Problem dar. Auch für Wetzlar sind Graffitis eine
Herausforderung. Anders als in anderen Städten hat man früh den Sprayern Wände
zur freien Gestaltung überlassen. Einige Stationen des Optikparcours sind von
Graffiti-Künstlern gestaltet und so vor wildem Sprayen verschont worden.
„Junger
Stadtkunst“, dazu gehören Graffiti ebenso wie der aktuelle Trend, Bäume,
Geländer, Lichtmasten etc. „einzustricken“, sollte Raum gegeben werden. So
manche triste Betonwand kann neue Aufmerksamkeit erfahren.
In diesem
Zusammenhang steht „junge Stadtkunst“ synonym für die Bedürfnisse junger
Bürger. Diese Bedürfnisse zu erkennen
und anzuerkennen, sollte alle Mühe und Aufmerksamkeit wert sein. Junge Bürger
zum mit diskutieren und mitmachen zu bewegen, wird eigene Anstrengungen
erfordern.
Das Miteinander der Verkehre
Dem „Ruhenden
Verkehr“ kommt in einer Stadt eine wichtige Funktion zu. Bürger und Gäste
wollen die Innenstadt schnell und einfach anfahren und ihren PKW dann bequem
abstellen, um ihr Ziel schließlich zu Fuß vom Parkplatz her erreichen zu können.
Das Einkaufszentrum „Forum“ zeigt idealtypisch wie auf diese Bedürfnisse der
Besucher eingegangen wird und wie die Besucher des „Forums“ das Einkaufzentrum
auch gerade deswegen schätzen. Auch hier gilt: Wenn die Innenstadt ein wirkliches Gleich- und Gegengewicht und eine
attraktive Ergänzung zum Forum bilden will, dann muss auch sie schnell und
einfach erreichbar sein.
Die Flächen
mit hoher Erlebnisqualität müssen den Menschen und nicht den Pkw`s vorbehalten
sein. „Parkplätze mit Lahnblick“ zeigen
falsche Prioritätensetzung. Parkplatznutzer sind auch immer dann bereit,
hohe Kosten für das Abstellen ihres Fahrzeuges in Form von Parkgebühren zu
akzeptieren, wenn die Ziele, die angefahren werden, hohe Attraktivität
versprechen. Die Entwicklung einer attraktiven Innenstadt bietet damit auch die
Voraussetzungen, Parkmöglichkeiten zu schaffen, deren Erstellung aufwendiger
und mit höheren Kosten verbunden ist. Tiefgaragen im Bereich der Konrad-Adenauer-Promenade
und der Avignonanlage sind unter diesem Aspekt ebenso wie auf dem heutigen
Lahnhof zu prüfen.
Bei
steigender Attraktivität des Innenstadtangebotes wird auch die Nachfrage nach
Parkraum steigen. Gelingt es die Innenstadt vom Forum bis zur Altstadt wieder
zu beleben, dann wird das heute noch als ausreichend empfundene
Parkplatzangebot an seine Grenzen kommen und die Stadt vor neue
Herausforderungen stellen.
Dem
Individualverkehr muss ein attraktives Angebot des öffentlichen
Personennahverkehrs entgegen gesetzt werden. Das Beispiel der belgischen Stadt
Hasselt zeigt, wie ein gelungenes System von peripheren Parkplätzen im Verbund
mit einem gut getakteten Shuttle-Service zu einer Verkehrsentlastung der
Innenstadt führen kann.
Konzepte für Carsharing
müssen entwickelt werden.
Je
attraktiver die Alternativen zum Individualverkehr sind, umso überflüssiger
wird der Wunsch nach individueller Anreise.
Ganz fatal
ist das Signal, welches davon ausgeht, dass Zielsetzungen des ISEK Entwurfs
schon in der Diskussionsphase durch konkrete Baumaßnahmen konterkariert werden.
Im ISEK
Entwurf (Seite 73) wird ausgeführt, dass neue Stellplatzanlagen bevorzugt als
Tiefgaragen auszuführen sind. Die Diskussion zum ISEK ist noch in vollem Gange
und die Bagger zerstören eine bereits attraktive Grünfläche im Bereich der
Pontonbrücke zwischen Lahn und Langgasse, um Platz für Parkplätze für die
stadteigene Wohnungsgesellschaft WWG und für das temporär aufzustellende
Polizeizelt im Zuge des Hessentages zu schaffen.
Alternativ
hätte man den eigenen Zielsetzungen des ISEK folgend über die Schaffung
weiterer unterirdischer Parkplätze im Bereich des Haarplatzes offensiv
nachdenken müssen. Das Abstellen von Mitarbeiter- oder Bedienstetenfahrzeugen
auf der nahe gelegenen Bachweide wäre auch noch zumutbar gewesen.
Jeder private
Eigentümer ist aufgefordert, bei Rodung von Bäumen für Ersatzpflanzungen zu
sorgen. Ebenso wird bei der Ausweisung von Neubaugebieten, der Bepflanzung in
den Bebauungsplänen hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Einer Politik mit „grüner
Handschrift“ folgend ist davon auszugehen, dass die Stadt Wetzlar bei den
Ersatzpflanzungen mit gutem Beispiel voran geht.
Die ökologisch ausgerichtete Stadt
Eine weit in
die Zukunft gerichtete Stadtplanung muss sich auch daran messen lassen, wie mit
vorhandenen Ressourcen schonend umgegangen wird. Einer Stadt kommt daher eine
Vorbildfunktion zu. Unter der rot-grünen Koalition wurde die Stromlieferung für
den städtischen Bedarf so umgestellt, dass nur noch Strom aus regenerativen
Energien abgenommen wird. Dies sollte auch andere Abnehmer veranlassen, ihre
Stromlieferung zu überdenken.
Private
Akteure sollten auch in anderen Bereichen animiert werden, eigene Ideen im
Umgang mit den begrenzten Naturressourcen zu entwickeln und umzusetzen.
Ökologisch
ausgerichtete Projekte (z.B. Beleuchtung in öffentlichen Räumen mit LED, etc.)
müssen identifiziert, auf ihre Realisierbarkeit hin untersucht und, wenn
möglich, umgesetzt werden.
Auch hier ist
die Stadt Wetzlar als Vorbild gefragt.
Distanz überwinden
Eine der
großen Herausforderungen in der Wetzlarer Innenstadt besteht darin, die Distanz
zwischen „Forum“ und Altstadt zu überwinden. Zwischen „Forum“ und dem
Schillerplatz in der Altstadt liegen fast 1.700 Meter.
Das
Citybus-Konzept wurde entwickelt, um diese Distanz leichter überwinden zu
können. Der City-Bus muss für junge Menschen attraktiver gestaltet werden. Vor
allem müssen aber attraktive Angebote an den Haltepunkten die jungen Menschen
anlocken.
Die Distanz
zwischen „Forum“ und Altstadt muss mit Erlebnis- und mit Aufenthaltsqualität
verbunden sein, damit der Passant sich wohlfühlt und auf diesem langen Weg
positive Eindrücke „mitnimmt“.
Vorhandene Strukturen prüfen und
stärken
Die „Drogerie
Müller“ am Buderusplatz ist im innerstädtischen Einzelhandel herausragend.
Wetzlar hatte vor Jahren zwei Kaufhäuser, die nacheinander geschlossen wurden.
Viele Wetzlarer bedauern dies noch heute. „Müller Drogerie“ bietet aber auch
heute noch ein Sortiment wie es für Kleinkaufhäuser typisch ist. Kernsortiment
ist sicher der Drogeriebereich. Hinzu kommen aber gut sortierte Spielwaren-,
CD-, Schreibwaren- und Reformhaussortimente. Es wäre wünschenswert, wenn die
Fassade des eigentümergeführten Hauses schon dem Anspruch an das gehobene
Sortiment stärker Rechnung tragen würde.
Die Erfahrung
mit dem ebenfalls früher eigentümergeführten C&A Haus in der Langgasse zeigt,
dass es für einen Einzelhändler eine Option ist, dem eigenen Standort den
Rücken zu zukehren und sich fremd einzumieten, wie es C&A schon vor Jahren
im Herkules Center getan hat.
Eine solche
Entwicklung ist am Buderusplatz unbedingt im engen Dialog mit „Müller Drogerie“
zu vermeiden. So lange keine endgültige Lösung für den Buderusplatz gefunden
wurde (dies hängt wesentlich von der Verkehrsentlastung am Karl-Kellner-Ring
ab), sollten zwischenzeitlich –ohne das Endziel, den Buderusplatz als
attraktiven Platz zu gestalten- Parkplätze in Qualität und Quantität so vor
„Müller Drogerie“ im Dialog mit den Anliegern angeordnet werden, dass dieser
Einzelhandelsanbieter den Standort und das Umfeld stärken kann.
Auch die
Stadt Wetzlar muss sich der Realität stellen, dass filialisierende
Discounteinzelhandelsangebote zu Lasten des Facheinzelhandels auf dem weiteren
Vormarsch sind. Eine wichtige Herausforderung besteht darin den
Filialeinzelhandel mit seiner standortübergreifenden Interessenlage für Wetzlar
als Partner zu gewinnen. Das bedarf der intensiven Kommunikation und Betreuung
dieser für jede Stadt zunehmend noch wichtiger werdenden Partner. Dies ist auch
im Interesse der verbliebenen Facheinzelhändler.
Der im ISEK
erarbeitete Vorschlag, in der Altstadt Flächen zusammen zu legen, geht in die
falsche Richtung. Damit würden Flächengrößen entstehen, die für den
Filialeinzelhandel attraktiv sind. Diese Flächenzusammenlegung scheitert schon
an der Topographie in der Altstadt. Entscheidend ist aber, dass es in Wetzlar
im Gegensatz zu anderen Städten gelungen ist, in der Altstadt Raumangebote für
den Facheinzelhandel zu erhalten. Raumgebote für den Filialeinzelhandel sind in
den Quartieren zwischen „Alter Lahnbrücke“ und „Forum“ ausreichend vorhanden.
In der
Altstadt werden erdgeschossig kleinteilige Flächen angeboten. Von der Langgasse
bis zur Bahnhofstraße werden die erdgeschossig zur Verfügung stehenden Flächen
immer größer und entsprechen den heutigen Flächenangeboten der Einzelhändler.
Jedes Quartier hat seinen eigenen Charakter, den es gilt, stärker heraus zu
arbeiten. Jedes Quartier muss in seiner Vielfalt so gestärkt werden, dass die
Innenstadt als attraktives Ganzes ein besonderer Anziehungspunkt wird.
Eine
besondere Herausforderung für viele Städte, auch für Wetzlar, besteht im
ungebremsten Ansiedlungsverlangen nach Spielotheken. Spielotheken sind dann als
problematisch einzustufen, wenn sie das Stadtbild prägen oder gar dominieren.
Die bisherige restriktive Ansiedlungspolitik der Stadt Wetzlar, die vornehmlich
darin bestand, Spielotheken, wenn überhaupt in der Innenstadt, dann nur in den
Nicht-Erdgeschossen zu platzieren, so dass sie nicht unmittelbar in das
Betrachterblickfeld fallen, ist daher nachzuvollziehen. Sündenfälle sind
allerdings die Neueröffnungen der Spielotheken in der Langgasse 25, der
Garbenheimer Straße und am ehemaligen Busbahnhof.
Die Stadt
Gießen ist hinsichtlich der Genehmigungspraxis von Vergnügungsstätten in die
Offensive gegangen und hat sich dabei von einigen bemerkenswerten Gedanken
leiten lassen. Grundsätzlich geht man in Gießen davon aus, dass
Vergnügungsstätten auch zur Lebensrealität gehören und deshalb auch in der
Innenstadt nicht gänzlich verboten werden sollen und können. Um der
städtebauliche Dominanz von Vergnügungsstätten und Spielhallen entgegen zu
wirken, will man aber im Innenstadtbereich die Ansiedlungen von
Vergnügungsstätten und insbesondere Spielhallen auf die Nicht-Erdgeschosse,
also Unter- oder Obergeschosse beschränken, wodurch deren städtebauliche
Präsenz zurücktritt. In Wetzlar ist dies beispielsweise bei der Merkur
Spielstätte im ehemaligen Kaufhaus Union so verwirklicht worden.
Städtebauliche Qualität sichern
Auch während
des Prozesses, ein Innenstadtentwicklungskonzept zu verabschieden und dann auf
kleinteilige Räume herunter zu brechen, bleibt die Welt nicht stehen. Die
Grundzüge der Stadtentwicklung werden zunächst großmaßstäblich beschrieben und
müssen dann in Einzelprojekten konkretisiert und umgesetzt werden. Dies wird
ein Prozess sein, der die kommenden Jahre bestimmt.
In der Zeit
dazwischen, also der Zeit des Diskussions-, der Konkretisierungs- und des
konzeptionellen Umsetzungsprozesses kann es zu unbeeinflussbaren negativen
Wirkungen (z.B. Schließung strategisch wichtiger Einzelhandelsgeschäfte u.a.)
kommen. Ebenso wären Investorenanfragen denkbar.
Daher muss in
dieser Zwischenzeit aktiv nach Lösungen gesucht werden, die einerseits die
Ziele der Stadtentwicklung sichern und andererseits Investoreninteressen, wenn
möglich, so „unter einen Hut bringen“, dass städtebauliche Qualität als oberste
Prämisse in jedem Fall gesichert ist.
Eines der
wesentlichen Instrumente zur Sicherung der städtebaulichen Qualität im Falle
der Neuausrichtung eines Standortes oder Quartiers durch Aufstellungsbeschluss
eines Bebauungsplanes besteht in der automatischen Verfügung einer
Veränderungssperre. Das ist sicher für einen Investor sehr unangenehm, wird
aber üblicherweise von Kommunen landauf, landab nicht weiter berücksichtigt.
Auf der anderen Seite eröffnet die Einleitung eines geordneten Prozesses
Investoren die Möglichkeit, dass deren Projekte unter allen Aspekten
beleuchtet, in die zukünftige Entwicklung eines Standortes und des Quartiers
harmonisch einfügen zu können.
Ganz konkret
steht die Stadt Wetzlar bei dem Investorenvorschlag zur Neubebauung des C&A
Areals in der Langgasse vor der Herausforderung, Stadtentwicklungsziele
endgültig zu formulieren und zu verabschieden und gleichzeitig
verantwortungsvoll mit der bestehenden Investorenanfrage umzugehen.
Den
Investoren war bekannt, dass das ISEK derzeit diskutiert wird und auch gerade
den Bereich umfasst, welcher das von ihnen erworbene Grundstück beinhaltet.
Wenn Bürger jetzt die Einleitung eines nachvollziehbaren Verfahrens zur
Planungs- und Baurechtschaffung einfordern, der ihnen auch die Möglichkeit der
Beteiligung einräumt, dann handelt es sich aus Investorensicht um ein Risiko,
dass zum Zeitpunkt des Grunderwerbs absehbar und damit als bekannt
vorausgesetzt werden musste. Aufgrund des Grundstückskaufpreises in der
Größenordnung von 500 T€ und den Chancen, die sich die Investorengruppe
ausrechnet, ist es nicht unbillig, wenn die Stadt Wetzlar, der Sicherung der
städtebaulichen Qualität eine höhere Priorität als Investoreninteressen
zubilligt. Dies umso mehr als auch aus Investorensicht jeder Anschein der
„Vetternwirtschaft“ abträglich ist.
Der im Zuge
dieses Projektes geplante Rückbau von Verkaufsflächen von 2000 auf 300
Quadratmeter zu ebenerdigen Parkplätzen (der Investor kann so mit geringem
Aufwand auf ein „Parkhaus“ zugreifen und spart sich eine aufwändige Tiefgarage)
bedeutet den Todesstoß für die ehemals pulsierende „Einkaufsstraße Langgasse“,
da in der Langgasse zukünftig kein attraktives Flächenangebot für einen
Ankereinzelhändler vorhanden sein wird. Negative Kettenreaktionen auf
angrenzende Quartiere sind nicht abzusehen.
Es ist nicht
nur nicht gewollt, sondern geradezu beabsichtigt, dass weitere Investoren im
Anschluss an das C&A Areal ebenfalls weitere anspruchsvolle Wohngebäude
errichten. Mit einer möglichen Freigabe der vorgelegten Planung präjudiziert
man also weit mehr als nur dieses Bauvorhaben. Hinzu kommt, dass weitere
Gebäude gänzlich neue Anforderungen an die Erschließung stellen, so dass auch
diese Frage schon mit der Neubebauung des C&A Areal behandelt werden muss.
Über
Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Strukturfragen nicht. Die
Architektur ist letzten Endes eine individuell oder von Generation zu
Generation neu zu entscheidende Frage. Wie beispielsweise das „Stadthaus am
Dom“ zeigt, werden exponierte Gebäude von Generation zu Generation sehr
unterschiedlich bewertet.
Die
Höhenentwicklung des Bebauungsvorschlages ist eine Strukturfrage. In der
Öffentlichkeit kann der Vorschlag eines 7-geschossigen Gebäudes nicht
nachvollzogen werden, zumal beim angrenzenden 3-geschossigen Wohnungsbauprojekt
die Erschließung des letzten Geschosses mit einem Aufzug an der Höhe
scheiterte.
Die
Stadtsilhouette des Quartiers Langgasse und Altstadt sollte als Maßstab
herangezogen werden: Im Quartier Langgasse ist zu entscheiden, wie in diesem
Zusammenhang mit der filigranen Hospitalkirche umgegangen werden soll. Unter
Einbeziehung der Altstadtsilhouette ist zu fragen, ob der Dom das alleinige in
der Höhe bestimmende Gebäude bleiben soll.
Besonders
bedauerlich ist, dass die Stadt Wetzlar nicht frühzeitig (als Investoren weit
vor Vollzug des Kaufaktes Bebauungsmöglichkeiten ausloteten), spätestens aber
im Rahmen des gesetzlichen Vorkaufsrechtes nicht aktiv geworden ist und das für
die Stadtentwicklung strategisch wichtige Grundstück erworben hat. Dann hätte
die Möglichkeit der Auslobung eines qualitätssichernden kombinierten
Architekten- und Investorenwettbewerbs bestanden oder die Stadt hätte das
C&A Areal in einen Grundstückspool für ein großräumiges Wettbewerbsverfahren
einbringen können (siehe „Wie es weiter gehen könnte“).
Gerade bei
einem großräumigen Wettbewerbsverfahren wie beim „Wettbewerblichen Dialog“ in
Hanau hätte die Chance bestanden, auch das Ziel der Belebung der
Handelslandschaft in der Langgasse zu verfolgen. Der Bebauungsvorschlag der
jetzigen Eigentümergruppe sieht einen drastischen Rückbau der Handelsflächen
zugunsten von Parkflächen vor, der für die Zukunft die Möglichkeit verbaut,
großflächigeren Einzelhandel als Anker und Magneten in der Langgasse
anzusiedeln.
Wünschenswert ist, dass die Stadt
Wetzlar unter Einbeziehung externer Kompetenzen und der Bürger eine Instanz
schafft, die es sich nicht nur in der Zwischenzeit des ISEK Prozesses, sondern
auch darüber hinaus, zur Aufgabe macht, städtebauliche Qualität zu sichern.
Grundsätzlich haben mittel- und
langfristige Stadtentwicklungsziele Vorrang vor kurzfristigen
Einzelinvestoreninteressen!
Die Wohlfühlstadt
Die eigene
Haut wird häufig als erste, die Kleidung als zweite und die Raumhülle als dritte
Haut bezeichnet. Dieses Bild trägt dem Anspruch Rechnung, sich in seiner Haut
wohl fühlen zu wollen. Es unterstreicht auch den Anspruch jüngerer
Generationen, sich durch Konsum in Textilien zu verwirklichen. Das Bild zeigt
aber auch wie wichtig es ist, dass Stadtentwicklung sich daran orientiert,
Räume in Gebäuden oder aber auch öffentliche Räume zu schaffen, in denen sich
Menschen wohl fühlen.
Sicherheit für künftige Investoren
Schon bei der
Einleitung des ISEK Prozesses wurden die Anforderungen an die Flexibilität
einer Innenstadtkonzeption beschworen. Soweit damit der Vorstoß unternommen
werden soll, die in einem aufwendigen Prozess entwickelte Konzeption zu
unterlaufen, um Einzelinvestoreninteressen so den Vorrang einzuräumen, muss
diesem Vorgehen eine klare Absage erteilt werden.
Angesichts
unserer immer schnelllebigeren Zeit ist es keine Frage, dass das ISEK in seinem
einmal gefundenen „Geist“ fortgeschrieben werden muss und sich so in einer
ständigen Weiterentwicklung befindet.
Das ISEK bietet
einen Rahmen für die Stadtentwicklung. Potentiellen Investoren mag an der einen
oder anderen Stelle dieser Rahmen zu wenig Spielraum bieten. Es sollte das Ziel
sein, diese Investoren von der Zukunftsfähigkeit des ISEK selbstbewusst zu
überzeugen statt angesichts von Investitionsinteressen die im ISEK gefundenen
Kompromisse über Bord zu werfen. Das, was heute Investoren als zu wenig
flexibel erscheint, bietet allen Investoren Sicherheit für ihre eigenen
Investitionen! Das ISEK muss einen
Rahmen bieten, auf den sich Investoren zu jedem Zeitpunkt verlassen können.
Sonst muss derjenige, der heute diesen sicheren Rahmen zu seinen Gunsten
beeinflusst, um seine Investorenrolle zu stärken, morgen damit rechnen, dass
das andere zu seinem Nachteil tun und damit seine Investition entwerten. Das
schreckt Investoren ab!
Derzeit beteiligen sich kaum
Immobilieneigentümer und Einzelhändler am ISEK-Prozess. Um möglichst viele
Eigentümer, Einzelhändler und andere Anbieter von attraktiven Angeboten ins
Boot zu holen, müssen für alle Quartiere Perspektiven geboten werden. Kein
Quartier darf nur Gewinner oder nur Verlierer sein. Es bedarf eines
ausgewogenen Interessenausgleichs.
Lernen von anderen
Gezielt
sollte die „Task Force“ damit beauftragt werden zu erheben, welche Städte
vorbildlich Stadtentwicklung betrieben haben, und deren Erfolgsfaktoren zu
identifizieren. Nach dem Motto „Kapieren
statt kopieren“ sollte die Übertragbarkeit auf Wetzlar herausgearbeitet
werden.
Die
sauerländische Stadt Altena hat
schon heute die Alterstruktur, die für Deutschland erst für 2018 prognostiziert
wird (1970: 30.000 Einwohner, aktuell 18.000 Einwohner, davon 37% über 50 Jahre
alt, Prognose für 2018: 15.000 Einwohner). Hier bietet sich die Chance, aus der
demographischen Veränderung Schlüsse zu ziehen. Ein anderes Beispiel ist Duderstadt im Eichsfeld. Duderstadt
scheint vorbildlich in der Bürgerbeteiligung. In Nürtingen am Neckar feiert man gerade „20 Jahre Bürgerbeteiligung“.
Als vorbildlich im Stadtmarketing wird immer das niederländische Maastricht genannt.
Direkt vor
der Haustür Wetzlars zeigt die Gemeinde Solms, wie Bürger in einen
Erneuerungsprozess integriert werden können.
Wie es weiter gehen könnte
Wenn
sich die Stadt Wetzlar nicht aktiv in der Stadtentwicklung positioniert, dann
verselbständigt sich die Entwicklung. Der Umbau und die Erweiterung des
„Herkules-Centers“ hat eindrucksvoll mit der Abwerbung des attraktiven
Textilanbieters H&M vom jetzigen zum Buderusplatz orientierten Standort ins
„Herkules-Center“ gezeigt, wie sich Stadtentwicklung zu ihrem Nachteil verselbständigen
kann. Der Erfolg des Umbaus des „Herkules-Centers“ bleibt abzuwarten. Die
beiden Ankermieter, die Textilanbieter C&A und H&M orientieren sich mit
ihren Läden entlang der Bahnhofstraße. Die Herausforderung besteht darin, die
Passanten in die Tiefe des Centers zu ziehen. Gelingt dies nicht, so ist das
ein doppelter Tiefschlag für die Bahnhofstrasse.
Um in der
Innenstadtentwicklung nicht „Getriebener“ zu sein, sondern vielmehr auf dem
„Fahrersitz“ positioniert zu sein, bedarf es des strategischen Einsatzes aller Ressourcen einer Stadt über die Instrumente des Planungs- und
Baurechtes bis hin zu den bereits im
Eigentum der Stadt Wetzlar befindlichen Grundstücken oder dem finanziellen
Aufwand für zu erwerbende Grundstücke (Ressourcenschonend
können Grundstücke und Immobilien auch über Optionsverträge in den Zugriff der
Stadt Wetzlar genommen werden.)
Über die
Bevorratung strategischer Grundstücke eröffnet sich die Stadt Wetzlar die
Möglichkeiten, einen bundesweiten Architekten- und Investorenwettbewerb so
auszuloben, dass mehrere Standorte eines „Grundstückspools“ aufeinander
abgestimmt, neuen Nutzungen zugeführt werden können, die so auf die Innenstadt
positiv stärker ausstrahlen können als bei Einzelausschreibung isolierter
Standorte. Die Grundstücksverwertungen ermöglichen weiteren finanziellen
Spielraum. Hieraus können dann Pilot- und Initialprojekte finanziert werden,
die weitere Investitionen anstoßen.
Erlöse aus der Verwertung der
Konversionsflächen „Westend“
und „Spilburg“ können heute sinnvoll in der Innenstadt verwandt werden. Die Kompetenzen der städtischen
Entwicklungs- und Bestandsgesellschaften sind ebenfalls gefragt.
Beispielhaft
sei der „Wettbewerbliche Dialog“, der von der Stadt Hanau ausgeschrieben wurde,
genannt.
In weiteren
Schritten muss das ISEK nun auf kleinere Handlungsräume runter gebrochen
werden, um am Ende zu überprüfen, ob die entwickelten Einzelideen wieder ein
homogenes Stadtentwicklungsziel ergeben. Dann müssen kurz-, mittel- und
langfristige Umsetzungsstrategien entwickelt werden, die in weiteren Schritten
konsequent unter Beteiligung der Bürger realisiert werden.
Ziel muss es sein, robuste
Stadtstrukturen zu schaffen.
Eine Innenstadt mit vielen Gesichtern
Wetzlar
ist mehr als nur das Einkaufzentrum „Forum“. Wetzlar ist auch mehr als nur Dom
und Altstadt.
Wetzlar ist
eine traditionsreiche Stadt mit einer facettenreichen Stadtkultur und einer
lebendigen Stadtgesellschaft.
Letztlich: Die Wetzlarer Stadtkultur und die Wetzlarer
Stadtgesellschaft - das sind alle Wetzlarer in ihrer Vielfältigkeit!
Starke Stadtkulturen und
Stadtgesellschaften schließen ein statt aus! Die Interessen und Bedürfnisse von
Kindern und Jugendlichen, von Singles und Familien, von alten Menschen, von
Migranten und Menschen mit Behinderungen müssen berücksichtigt werden.
Die
Stadtkultur, also alles das, was eine Stadtgesellschaft hervorbringt, von
Bauten, Plätzen bis hin zu Angeboten aller Art, muss immer wieder gepflegt
werden. Es geht um die Wechselbeziehung
zwischen Mensch und Umfeld, die der Mensch gestaltet.
Die
Verwendung des Begriffs „Stadtkultur“ steht auch für einen bestimmten Qualitätsanspruch.
Stadtkultur
und Stadtgesellschaft sind einem stetigen Wandel ausgesetzt.
Innenstädte
werden häufig als die „Gesichter ihrer
Stadt“ bezeichnet. Gesichter stehen für Individualität. Gesichter zeigen
Profil. – Gesichter müssen gepflegt und angepasst werden. Je älter ein Gesicht
wird, desto mehr Geschichten erzählt es. Jeder Mensch, unabhängig davon, woher
er kommt, wofür er steht und wohin er will, hat allen Grund, stolz auf sein
Gesicht zu sein.
Wetzlar hat allen Grund stolz auf sein
Gesicht, auf seine Innenstadt zu sein. Das entbindet keinen Wetzlarer, jeden
Tag aufs Neue um seine stolze Innenstadt zu kämpfen und an ihr zu arbeiten!
Professor
Dr.-Ing. Jürgen Erbach
Stand: 29. März
2012
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