Donnerstag, 5. Juli 2012

Ergänzungen zum Entwurf einer Innenstadtentwicklungskonzeption (ISEK) für Wetzlar


Plädoyer für eine facettenreiche Stadtkultur
Ergänzungen zum Entwurf einer Innenstadtentwicklungskonzeption (ISEK) für Wetzlar



Präambel

Das besondere an dem vorliegenden Entwurf der Innenstadtentwicklungskonzeption ist der erstmalige Versuch eines ganzheitlichen Ansatzes, die sehr verschiedenen Innenstadtquartiere zu analysieren und eine auf die einzelnen Quartiere abgestimmte Entwicklungsperspektive so zu entwickeln, dass am Ende eine Innenstadt entsteht, die den Bedürfnissen möglichst vieler Menschen mit unterschiedlichen Lebensformen mit ihrer Vielfalt Identifikation und Anlaufstelle bietet.

Dieses „Plädoyer für eine facettenreiche Stadtkultur“ versteht sich als Ergänzung zu der vom Buero 5 und der Stadt Wetzlar vorgelegten Entwurfs des Innenstadtentwicklungskonzeption (ISEK).

Nach der Ansiedlung des Einkaufszentrums „Forum“ hat die Stadt Wetzlar sich sehr verändert. Der Befund dieser Analyse ist eine wichtige Voraussetzung, damit für die weitere Entwicklung Wetzlars zukunftstragfähige Antworten gefunden werden können.

Die Altstadt wird im vorliegenden ISEK als das „Herz“ der Stadt bezeichnet. Wenn die Altstadt das Herz Wetzlars ist, was ist dann das „Forum“?



Innen- vor Außenentwicklung

Mit Aufgabe des Bundeswehrstandortes Wetzlar wurden zwei sehr große Konversionsflächen, die „Spilburg“ und das „Westend“, frei. Es war verständlich und nachvollziehbar, dass der gelungene Versuch unternommen wurde, Nachnutzungen zu finden, um gar nicht erst Brachflächen entstehen zu lassen. Neue Nutzer, wie z.B. das „Studium plus“ wurden in der „Spilburg“ angesiedelt. Im „Westend“ wurden neue Verkaufsflächen geschaffen, die die Attraktivität der „grünen Wiese“ erhöhten. Es wurden Nutzungen aus dem Innenstadtbereich, wie z.B. die Volkshochschule, verlagert. Die Verwertung dieser Konversionsflächen hat der Stadt Wetzlar vermutlich über ihre Stadtentwicklungsgesellschaft ein gutes finanzielles Polster außerhalb des städtischen Haushaltes beschert.

Solange die Innenstadt keine eigenen Probleme hatte und der demographische Wandel in seiner Bedeutung noch nicht erkannt wurde, war diese Entwicklung von Außenflächen, also von Flächen an der Peripherie, ohne negative Auswirkungen auf die Innenstadtentwicklung.

Das ist heute anders. Die Innenstadt verödet in weiten Teilen. Im ISEK Entwurf wird zu Recht die mangelnde Frequenz in der Altstadt beklagt.

Da es sich um die Kernstadt handelt, fällt das negative Erscheinungsbild innerstädtischer Brachflächen und großflächiger Leerstände noch viel mehr ins Gewicht als periphere Brachflächen und Leerstände. Angesichts des demographischen Wandels und damit einhergehender Schrumpfungsprozesse muss der Realität ins Auge geschaut werden: Brachflächen und Leerstände werden zu- statt abnehmen.

Daher bekennt sich das ISEK deutlich zu Innen- vor Außenentwicklung!

Im Rathaus muss eine zentrale Task Force eingerichtet werden, die nur die Aufgabe hat, alle Planungen in der Stadt darauf hin zu untersuchen und zu prüfen, ob die Ansiedlung in der Innenstadt möglich ist und wie diese möglichst nutzenstiftend für die Innenstadt umgesetzt werden kann.



Einkaufszentrum „Forum“

In einem Interview bezeichnete Sven Martens, der Center Manager des Einkaufzentrums „Forum“, das „Forum“ als den „Marktplatz der Region“ (Forum Wetzlar Aktuell; 1. Januar 2012).

Das „Forum“ ist fester Bestandteil der Wetzlarer Innenstadt. Bei aller kritischer Betrachtung: Das „Forum“ ist auch Chance für Wetzlar! Die große Herausforderung für Wetzlar besteht darin, Besucher des Einkaufszentrums „Forum“ davon zu begeistern, durch die Wetzlarer Innenstadt schlendern zu wollen.

Eine wichtige Herausforderung besteht darin, die Besucher des Forums so zu begeistern, dass sie durch Wetzlar schlendern wollen .Das „Forum“ bietet mit seiner Mall einen halböffentlichen Raum. Hier werden Menschenmassen durchgeleitet. Öffnungstäglich hat das Forum durchschnittlich 20.000 Besucher. An den Adventssamstagen steigert sich die Besucherzahl auf über 50.000 (Die Stadt Wetzlar hat insgesamt ca. 52.000 Einwohner). Das Centermanagement unternimmt alles, um eine Einkaufsatmosphäre zu schaffen und damit die Verweildauer im „Forum“ zu optimieren. Es besteht aber auch kein Zweifel daran, dass diese Anstrengungen nur einem einzigen Ziel dienen: Die Besucher zu möglichst hohem Konsum zu bewegen. Diesem Ziel sind alle anderen Aspekte untergeordnet.

Die im „Forum“ angebotenen Waren und Dienstleistungen sind sehr an der Alterszielgruppe „bis 30“ orientiert. Das „Forum“ ist offensichtlich in diesem Segment erfolgreich. Die Tatsache, dass gerade junge Menschen ihre „Einkaufssozialisation“ in einem Einkaufszentrum wie z.B. dem „Forum“ erfahren, hat Langzeitwirkung: Wer als Jugendlicher seine Einkaufsbedürfnisse im „Forum“ befriedigt, der wird im Alter kaum sein erlerntes Einkaufsverhalten so umstellen, dass er dann Kunde der Altstadtgeschäfte wird.

Die Besucherzahlen des „Forums“ zeigen auf, wie Wetzlar von außen, insbesondere von Besuchern des „Forums“, wahr genommen wird: Als Standort des Einkaufszentrums „Forum“ und nicht als Kulturstadt mit eindrucksvoller Geschichte und Tradition.

Das Wetzlarer „Forum“ ist stark und bedarf keines weiteren Supports. Maßnahmen, wie das Parkleitsystem, das unter dem Deckmantel „City“ Bürger und Besucher der Stadt ins Parkhaus des Einkaufzentrums „Forum“ führt, sind nicht weiter notwendig.

Die Innenstadt, von der Altstadt bis in die Bahnhofstraße, bedarf hingegen einer besonderen Stärkung, so dass die Innenstadt in ihrer Präsentation auch als Gleichgewicht zum „Forum“ wahrgenommen wird.

Die Innenstadt muss sich aber auch in der Angebotsvielfalt als Gegengewicht und als Ergänzung zum konsumorientierten Einkaufszentrum „Forum“ verstehen und sich durch Vielfalt und Anspruch auch jenseits von Handel positionieren.

Wie Wetzlar aus der Balance gekommen ist, zeigen folgende Zahlen, die die Gesellschaft für Konsumforschung im Mai 2008 veröffentlichte: Bei den Städten zwischen 50.000 bis 100.000 Einwohnern belegt Wetzlar beim „Umsatz“ mit 9.996 € pro Einwohner bundesweit Platz 3; In der Zentralität belegt Wetzlar mit einer Zentralitätsziffer von 205,6* (hinter Gießen mit einer Zentralitätsziffer von 213,6) bundesweit Platz 4. Die Aktualisierung dieser Kennzahlen würde, obwohl die Entwicklung in der Innenstadt Wetzlars seitdem dramatisch weiter gelitten hat, kein anderes Bild ergeben.

Während Gießen sich seinen Rang im „Selters Weg“ „erarbeitet“ hat, „verdankt“ Wetzlar seine Platzierungen einzig und alleine dem „Forum“.

Die Wetzlarer Innenstadt ist mehr als nur das Forum. Die Wetzlarer Innenstadt ist mehr als eine Handelsagglomeration.

Die Gremien der Stadt Wetzlar hatten die Kraft, Ja zum Einkaufszentrum „Forum“ zu sagen. Jetzt braucht die Stadt Wetzlar auch die Kraft zu weiteren großen Entscheidungen. Eine der wichtigsten Entscheidungen wird eine neue Verkehrsführung betreffen, welche die Voraussetzungen für eine Neuausrichtung der Innenstadt erst ermöglicht.
*Bundesdurchschnitt 100


Die Bedeutung des Faktors „Arbeit“

Steigende Produktivität bedeutet, dass mit weniger Menschen die gleiche Menge oder sogar mehr produziert werden kann. Die Wirtschaftskraft muss aber die gesamte Bevölkerung „tragen“. Eine der gesellschaftlichen Herausforderungen wird in der „gerechten“ Verteilung von Arbeit bestehen, um so den „Sozialen Frieden“ zu erhalten. Junge Menschen müssen eine Chance bekommen, eine eigene Existenz und Familie zu gründen. Der Stärkung und Ansiedlung von Zukunftstechnologien kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Das Leitbild „Optik und Technologie“ ist daher gut für Wetzlar gewählt. In der optischen Informationsübertragung liegt die Zukunft.

Menschen werden sich immer dort ansiedeln, wo Arbeit ist, die ihnen ihre Lebensgrundlage erst ermöglicht.



Demographischer Wandel

Immer mehr Menschen werden immer älter. Das stellt uns auf verschiedenen Ebenen vor große Herausforderungen.

Ältere Menschen sind heute länger fit. Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse, denen Rechnung getragen werden muss.

Dabei geht es u.a. um die Vernetzung sozialer Angebote, um Wohnungsangebote für Senioren, um soziale sowie technische Infrastruktur.

Da das „Forum“ keine Angebote für ältere Bürger und Gäste der Stadt vorhält, müssen Anbieter von Waren und Dienstleistungen für diese Zielgruppe für den Standort Wetzlar gewonnen werden. Das ist eine Chance für die heute problematischen Einkaufszonen.

Die medizinische Versorgung von Haus- bis zu Fachärzten muss gewährleistet sein.

Das Miteinander der Generationen muss gefördert werden. Standorte für Mehrgenerationenhäuser müssen identifiziert und Investoren gewonnen werden. Unter dem Motto „Alt hilft Jung“ müssen Angebote entwickelt werden, wo jüngere Menschen auf die Erfahrung älterer Menschen zurückgreifen können. Dies können Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen sein oder Hilfe bei Hausarbeiten bis hin zu wissenschaftlichen Arbeiten. Das ist gelebte Generationensolidarität, bei der sich Menschen jeder Altersstufe auf Augenhöhe begegnen und ihre alterspezifischen Stärken, von Dynamik und Begeisterungsfähigkeit bis hin zur Erfahrung und Gelassenheit, einbringen.

Mit dem „Demographischen Wandel“ geht die Überalterung der Stadtgesellschaft automatisch einher. Ab einem bestimmten Alter bemühen sich Menschen um einen Stand- und Wohnort, an dem sie ihren Lebensabend verbringen möchten. Will man das Miteinander der Generationen fördern, so muss man daher die Attraktivität für junge Menschen steigern und sich aktiv um jeden jungen Bürger bemühen. Es gilt daher, auch aktiv den Bedürfnissen junger Menschen Rechnung zu tragen. Solche Angebote sind in der Freizeit- und Abendgestaltung (mehrere Diskotheken, die die Wertigkeit eines Standortes aus Sicht junger Menschen unterstreichen) zu entwickeln. Eine Stadtgesellschaft ist dann für alle attraktiv, wenn Menschen verschiedener Altersgruppen, gut durchmischt, miteinander in einer Stadt leben.

Auf Dauer wird die Finanzierung von Alten- und Pflegeheimen nicht mehr leistbar sein, so dass neue Betreuungsformen entwickelt werden müssen. Eine solche neue Betreuungsform kann in dem Angebot von „Seniorengärten“ bestehen. Erwachsene Kinder haben die Möglichkeit, ihre Eltern, so wie sie es mit ihren Kindern bzw. den Enkeln der Eltern tun, tagsüber in die Betreuung eines Seniorengartens zu geben, um nach der Arbeit die Betreuung wieder eigenverantwortlich innerhalb der Familie zu übernehmen.




Notwendigkeit, Leitbilder zu identifizieren und zu formulieren

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (Antoine de Saint-Exupéry).

Bei der Definition von Leitbildern geht es darum, mögliche inhaltliche Ziele zu beschreiben. Denn nur dann, wenn man weiß, wohin man will, wo das Ziel ist, kann man alle Kraft einsetzen, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Leitbilder müssen so entwickelt werden, dass ein unverwechselbares Profil Wetzlars entsteht.



Begründung der Leitbilder

Die Leitbilder einer Stadt sollten authentisch sein, sich möglichst aus der Stadtgeschichte ergeben, von den Bürgern entdeckt, aus der Bürgerschaft selbst entwickelt und an die Stadtoberen weiter gegeben werden.

Es ist Ausdruck einer lebendigen Stadtkultur, wenn eine Stadtgesellschaft über ihre Leitbilder leidenschaftlich diskutiert.

Wetzlar braucht eine „story“. Die „story“ muss dazu beitragen, dass die Attraktivität der Innenstadt beginnend bei der Neunutzung von strategischen Ankergrundstücken Schritt für Schritt gesteigert wird, so dass die Menschen wieder zurückkommen und die Innenstadt wieder neu mit Leben füllen.


Optik und Technologie

In Wetzlar wurde die erste Kleinbildkamera der Welt entwickelt. Wetzlar war und ist ein traditionsreicher Standort der Optik und Feinmechanik. Der „Optikparcours“ und das „Viseum“, das Wetzlarer Haus der Optik und Feinmechanik und der geplante „Leitz-Park“ bringen diese „wetzlarspezifische“ Kompetenz anschaulich den Bürgern und Besuchern der Stadt nahe, so dass die Verbindung der Stadt mit Optik und Feinmechanik nachvollziehbar ist.

In Wetzlar befindet sich mit 70 Unternehmen das hessenweit größte Cluster der Optik und Feinmechanik.

Bundesweit könnte sich lediglich die Stadt Jena noch als Optikstadt glaubhaft präsentieren.


Stadt an Lahn und Dill

Flüsse waren wichtige Verkehrs- und Transportadern, an denen sich Siedlungen entwickelten. Gleichzeitig stellten sie auch immer Bedrohungen dar. Angesichts extremer Wetterlagen wird dem Hochwasserschutz zukünftig eine größere Bedeutung zukommen.

Diese Ambivalenz gegenüber der Lahn spiegelt sich darin wieder, dass sich fast alle Gebäude in Wetzlar von der Lahn abgewandt präsentieren.

Historisch war das „Neue Zentrum“ ein von Wasserwegen durchzogenes Quartier. Die Wasserwege eigneten sich mit steigendem Verkehrsaufkommen hervorragend als Entwicklungsflächen für Straßen, welche daher den heutigen Innenstadtbereich dominieren.

Die Lahn ist für Wetzlar ein bedeutender Tourismus-Anziehungspunkt. Lahnrad- und Lahnbootsreisen lassen die Lahntouristen die Qualität des Flusses mit Flora und Fauna in und auf dem Wasser und in den Uferbereichen neu erleben.

Für die Rad- und Bootstouristen muss eine entsprechende Infrastruktur angeboten werden. Rastplätze mit Fahrradabstellmöglichkeiten bis hin zu Anlegestellen und Sanitäranlagen müssen den Rad- und Bootstouristen zeigen, dass sie in Wetzlar willkommen sind.

Die Uferbereiche im innerstädtischen Gebiet müssen so ausgebaut werden, dass flanierende Spaziergänger sich ebenso wie Radfahrer oder andere Sportler wohl und sicher fühlen.

Im Innenstadtbereich sollten die Lahnufer mit ausreichenden Sitzmöglichkeiten, die Sicht auf Dom und Altstadtsilhouette ermöglichen, ausgestattet sein.

Wünschenswert wäre auch die Entwicklung des Uferbereichs so, dass man nah an das Wasser gelangen kann. Diese Uferbereiche könnten des Weiteren als Lernstationen ausgebildet werden. Die „Rheintreppe“ im Rahmen der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz könnte auch für die Lahn in Wetzlar als Idee aufgenommen werden.

Auch Wohnmobilreisende sollten sofort erkennen, dass sie in Wetzlar sehr willkommene Gäste sind. Innenstadtnahe Aufstellmöglichkeiten, die auf ihre Bedürfnisse abgestellt sind, sollten Wetzlar als Zieldestination für Wohnmobilreisende attraktiv machen, da diese eine hoch attraktive Zielgruppe für alle innerstädtischen Anbieter von Waren und Dienstleistungen darstellen.

Die Aufwertung der Dill im Stadtbild unterstreicht die Verbundenheit Wetzlars mit dem Einzugsgebiet des Lahn-Dill-Kreises. Die Entwicklung der Dill und ihrer Uferflächen ist ein noch völlig unbearbeitetes Potential. Die Dill und ihre Uferbereiche müssen attraktiv neu gefasst und so gestaltet werden, dass diese mit den vorhandenen Siedlungs-, Industrie- und Gewerbestrukturen und Grünflächen vernetzt werden. Die Einbeziehung der Dill sollte so erfolgen, dass ein einheitliches Konzept entsteht, ohne dass die Flüsse miteinander in Konkurrenz treten.

Letztlich darf nicht vergessen werden, dass Lahn und Dill für die Wetzlarer Innenstadt wichtige Frischluftschneisen darstellen.


Stadt mit urbaner Lebensqualität

Das Miteinander der Nutzungen vom Wohnen über Arbeiten bis hin zum Lernen, sich Vergnügen, sich Versorgen und Einkaufen ist das charakteristische der europäischen Stadt. Mit der Dominanz des Handels in der Stadt wurden die anderen für eine Stadt typischen anderen Nutzungen zurückgedrängt. Dies gilt auch für die Wetzlarer Altstadt bis hin zur Bahnhofstraße.

Die Einzelhandelsflächen sind in der derzeitigen Ausprägung in Wetzlar nicht mehr plausibel. Sie müssen teilweise zurückgebaut werden. Das gilt für Obergeschosse und für Nebenlagen. Obergeschosse sollten primär wohnungswirtschaftlicher Nutzung zugeführt werden. Die Schaffung von Wohnraum führt zu Belebung und auch zu neuer Versorgungsnachfrage.

Gemeinsam mit anderen attraktiven Funktionen kann so mit den verbleibenden erdgeschossigen Einzelhandelsflächen ein attraktives Angebot für Bürger und Gäste geschaffen werden, die ein buntes und lebendiges Stadtbild widerspiegeln.

Die Schaffung von neuem Wohnraum an der Lahn ist grundsätzlich sehr zu unterstützen. Lagequalitäten (Sonnenausrichtung, Lahnsicht, Emissionen, etc.) müssen ebenso berücksichtigt werden wie erhöhte Baukosten aufgrund der Wassernähe. Die Erfahrungen in anderen Städten zeigen, dass Wohnen am Wasser gehobene Käuferschichten ansprechen. Dies kann zu einer Verdrängung von Bewohnern, die auf preiswerten, innenstadtnahen Wohnraum angewiesen sind, führen. Derzeit sind im „Neuen Zentrum“ gut preiswerte Single-Wohnungen zu vermieten. Eine Nachfrage besteht auch nach großen, preiswerten Familienwohnungen.



Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung

Zu einer Stadt mit urbaner Lebensqualität gehört untrennbar eine Stadtgesellschaft mit einer lebendigen Diskussionskultur.

Bei dem Prozess, für Wetzlar eine Innenstadtkonzeption zu entwickeln, ist der Weg zum Ziel genauso wichtig, wie das Ziel selbst. Es ist wichtig, dass sich möglichst viele Bürger der Herausforderung stellen, mit zu diskutieren und um den richtigen Weg für Wetzlar zu ringen.

Da die an der Stadtentwicklung interessierten Bürger keine Kenntnis vom wechselseitigen Interesse haben, ist es für diese Bürger schwer, miteinander ins Gespräch zu kommen. Eine Verwaltung im Sinne einer dem Bürger „dienenden“ Verwaltung ist daher im Einvernehmen mit der Politik dazu aufgerufen, den Bürgern eine Plattform zu bieten und zu schaffen, um miteinander kommunizieren zu können.

Angesichts der derzeitigen Situation in weiten Teilen der Innenstadt ist die Notwendigkeit, einen umfassenden Umdenk- und darauf aufbauenden Umbauprozess einzuleiten, unverkennbar.

Das kann nur erfolgreich sein, wenn möglichst alle Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrer politischen und religiösen Einstellung und Alter einbezogen werden.

Zu lange wurde die negative Entwicklung in der Innenstadt ignoriert. Viele haben die Wetzlarer Innenstadt als chancenlos abgetan. Eine wichtige Botschaft des vorliegenden ISEK Entwurfs ist auch, dass die Wetzlarer Innenstadt trotz und vielleicht auch gerade wegen des Einkaufszentrums „Forum“ Chancen hat. Um diese Perspektiven solide heraus arbeiten zu können, bedarf es Zeit. Es ist weltfremd anzunehmen, dass mehr als 10 Jahre vertane Zeit in wenigen Monaten aufgeholt werden kann. Deshalb muss dem ISEK Prozess die notwendige Zeit eingeräumt werden. Das heißt aber auch, dass der eingeleitete Prozess jetzt beherzt und konsequent durch- und weitergeführt werden muss.

Was nicht vorgestern gedacht, gestern geplant und heute gebaut wird, das kann morgen keine Wirkung entfalten.

Bürgerbeteiligung mag als aufwendiger Prozess erlebt werden. Es geht aber darum, die Kenntnisse der Bürger aus ihren Quartieren ebenso wie deren Ideenreichtum und Kreativität aufzunehmen. Die Mühe, die man sich damit macht, lohnt sich, weil so aufreibende Prozesse und/oder Frustration, wie sie bei Stuttgart 21 nachträglich notwendig wurden, im Vorhinein abgearbeitet werden können.

Bürgerbeteiligung ist Identifikation mit der eigenen Stadt. Bürgerbeteiligung muss aber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass wir in einer mobileren Welt leben. Junge Menschen zieht es in die Welt. Daraus resultiert ein anderes, ein neues Bürgerverständnis. Junge Menschen haben neue Möglichkeiten der Kommunikation. Auch darauf müssen Beteiligungsangebote abgestellt werden. Eine weitere Herausforderung besteht in der Einbeziehung junger Menschen. Sie werden diejenigen sein, die mit dem, was heute an Stadtentwicklung induziert wird, zukünftig leben müssen.

Das persönliche Gespräch, in dem sich aus dem Dialog heraus auch neue Ideen ergeben, ist Kennzeichen einer lebendigen Stadtkultur. Es ist sehr begrüßenswert, dass die Stadt Wetzlar mit Einrichtung einer „Denk-Werk-Stadt“ in der Langgasse hierfür die Voraussetzungen geschaffen hat. Dieser Ort des Bürgeraustausches muss den Bürgern für die Dauer des gesamten Prozesses zur Verfügung stehen. Dann ist die permanente Rückkoppelung zwischen dem Stadtverordnetenparlament als zuständiger Legislative, dem Magistrat und der Verwaltung als Exekutive und den Bürgern als Souverän gewährleistet.

Die Bürger müssen in die Realisierung einbezogen werden, damit sie die umgesetzten Projekte auch als ihre Projekte annehmen.

Angesichts schwindender Beteiligung von Bürgern in unserer repräsentativen Parteiendemokratie und neuer Kommunikationsformen (Internet) ist direkte Bürgerbeteiligung ein Muss. Politik und Verwaltung müssen sich wünschen, dass es Bürger gibt, die sich mit ihrer Stadt identifizieren und sich einbringen wollen, statt sich der Bürgerbeteiligung nur notgedrungen zu stellen. Die bürgerlichen und politischen Eliten müssen sich teilweise zurücknehmen, um dem Bürger genügend Raum zu geben, seine Ideen einzubringen. Es muss für den Bürger erkennbar und nachvollziehbar sein, wie und wo seine Überlegungen in den weiteren Prozess eingeflossen sind.

Eine Stadtgesellschaft, die diskutiert, ist Basis für eine lebendige und damit anziehende Stadt.



Wettbewerb mit Umlandgemeinden und Vernetzung mit der Region

Wir leben im Europa der Regionen. Nur Regionen sind überlebensfähig, weil sie miteinander Projekte realisieren können, die die einzelne Stadt alleine nicht bewerkstelligen kann. Regionale Vernetzung ist Stärke.

Innerhalb einer Region kann der Wettbewerb der Kommunen untereinander sehr entwicklungs- und fortschrittsfördernd sein.

Gießen hat die letzten Jahre genutzt und hat den „Selters Weg“ herausgeputzt. Dieser wird von Bürgern und Besuchern angenommen, was sich an der starken Frequenz ableiten lässt.

Andere Städte, wie Dillenburg und Marburg, haben die Idee, sich mit einem Einkaufszentrum auf eigenem Stadtgebiet neu zu positionieren, aufgegriffen. Aus den Fehlern bei der Ansiedlung von Einkaufzentren in anderen Städten wird man sicher lernen, so dass dies Rückkopplung auf die bestehenden Einkaufszentren in der Region, darunter auch das Wetzlarer „Forum“, haben wird.

Neben der konkreten gemeinsamen Bearbeitung von Projekten könnte ein Hauptfeld der Zusammenarbeit in einem miteinander abgestimmten Marketingauftritt bestehen.

Die gemeinsame Arbeit am und im „Lahnpark“ bietet eine konkrete Chance der Vernetzung.



Bildung als herausragender Standortfaktor

Das Schulangebot ist bei der Standortwahl junger Familien ein wichtiger Faktor.

Eine hervorragende Bildung ist das tragende Fundament für die Zukunft junger Generationen, unabhängig von ihrer Herkunft.

In dem vom Bundesministerium für Verkehr, Bauwesen, Städtebau und Raumordnung (BMVBS) herausgegebenen „Weißbuch Innenstadt“ wird an zwei Stellen der deutliche Hinweis gegeben, dass Schulen in der Innenstadt von Städten angesiedelt werden sollen. Dies wird insbesondere auch unter dem Aspekt der Integration als förderlich hervorgehoben. Die derzeit geführte Diskussion über den Neubau der Goethe-, der Käthe-Kollwitz- und der Theodor-Heuss-Schule muss unter diesem Gesichtspunkt neu eröffnet werden. Die Freigabe des jetzigen Standortes der Goetheschule ermöglicht über die Grundstücksverwertung des Altstandortes neue finanzielle Spielräume.

Jede moderne Schule ist bemüht, das städtische Leben in das Schulleben zu integrieren. Den größten Teil des Tages verbringen Schüler in der Schule. Das Nebeneinander von Schule und städtischem Leben ist für die Sozialisation junger Menschen daher unverzichtbar.

Die Volkshochschule zurück in die Wetzlarer Innenstadt zu holen, ist ein unterstützenswerter Ansatz. Allerdings handelt es sich um Bildungsangebote, die mehr in die Abendstunden verlagert sind und die eigentlich vorrangig wohnortnah in den Ortsteilen angeboten werden sollten. So sollten Sprach- und Integrationskurse der VHS durchaus „vor Ort“, z.B. im „Westend“, angeboten werden.

Die Volkshochschule in der Bahnhofstraße kann keine oder nur eine sehr geringe Wirkung auf die Stadtentwicklung ausstrahlen. Ihre Attraktivität ist zu gering, um ein Quartier wie die Bahnhofstraße zu beleben.



Hochschulstandort Wetzlar

In der rohstoffarmen Bundesrepublik kommt der Bildung eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur, dass Bildung ein Thema ist, das alle Generationen miteinander verbindet (an einer guten Bildung für den gemeinsamen Nachwuchs haben Eltern- wie Großelterngenerationen ein hohes Interesse), Bildung ist das Fundament für eine gute Zukunft von jungen Menschen jeglicher Herkunft.

Das „Studium plus“ wird von Studierenden und Unternehmen geschätzt. Es handelt sich um Studienangebote, die in Zusammenarbeit mit der heimischen Wirtschaft entwickelt wurden und fortgeschrieben werden. Viele der Studierenden kommen aus der Region. Der aktuelle Raumbedarf kann in den jetzigen Räumen in der „Spilburg“ nicht mehr befriedigt werden.

Die Raumneuorientierung sollte zum Anlass genommen werden, auch über die Standortfrage neu nachzudenken. In der Innenstadt gibt es viele Reserveflächen, die Platz für einen Hochschulbetrieb bieten (z.B. Lahnhof, Mauritiushaus, Union in Verbindung mit dem Euler-Haus).

Über eine Erweiterung des Hochschulangebotes um einen überregional ausstrahlenden grundständigen Studiengang, um so den Hochschulstandort Wetzlar zu stärken, sollte nachgedacht werden. Zusätzliche Studienangebote sollten überregional ausstrahlen. Über die Belebung der Innenstadt mit jungen Menschen durch die Hochschuleinrichtungen könnte so noch weiterer Bedarf an Bildungsinfrastruktur, studentischem Wohnraum und Angeboten für das studentische Leben, von der Gastronomie, bis hin zur Nahversorgung, geweckt werden.

Die Studienangebote in Wetzlar bieten über Kooperationen mit den Universitäten in Gießen und Marburg gute Möglichkeiten der überregionalen Vernetzung.




Gelebte Integration

Wetzlar hat seinen ausländischen Mitbürgern viel zu verdanken. Sie haben am Aufbau der Stadt und seinem einstigen und heutigen Wohlstand mitgewirkt. Dafür sind alle Wetzlarer dankbar. Viele dieser ausländischen Mitbürger sind in Wetzlar geblieben und in Wetzlar angekommen und haben hier mit ihren Familien eine Heimat gefunden. Nunmehr lebt schon die dritte Generation in Wetzlar. Es gibt keinen Zweifel: Diese Mitbürger sind Deutsche, sind Wetzlarer!

Eine große Herausforderung besteht in Wetzlar darin, die kulturelle Vielfalt der Stadt zusammenzuführen. Vom Nebeneinander zum Miteinander muss das Ziel sein.

Ein „Haus der Integration“ oder ein „Haus der Kulturen“ in der Innenstadt kann ein Ort der Begegnung sein, an dem kulturelle Vielfalt zusammengeführt wird. In einem solchen „Haus der Integration“ können Vereine aus allen Kulturkreisen, insbesondere auch die aus der Region selbst, im sozialen Miteinander Toleranz leben. Im Erdgeschoss könnten Warenangebote aus verschiedenen Kulturkreisen platziert werden.

Wichtig wird es sein, das Nebeneinander von heimischer und zugewanderter Kultur zu pflegen.

Darüber hinaus kommt dem Sport, insbesondere dem Mannschaftssport, eine wichtige Bedeutung bei der „gelebten Integration“ zu. Wetzlar ist auch „Sportstadt“. Davon zeugen die „HSG“, die „Rollis“, der „Tanzclub Schwarz-Rot“, der „Turnverein Wetzlar von 1847“, der Funtastic Sport, die Sportjugend Hessen, das Turnzentrum und insbesondere die „Eintracht Wetzlar 05“. Gerade der Fußballverein zeigt, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen spielen und ein gemeinsames Ziel verfolgen können.



Gesundheit

Die Bereitstellung einer umfassenden Gesundheitsinfrastruktur ist eine der Herausforderungen der Zukunft. Unabhängig davon, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird, an Gesundheitsinvestitionen wird zu Recht zuletzt gespart. Im Zusammenhang mit dem „Demographischen Wandel“ kommt dem Thema Gesundheit daher eine zentrale Bedeutung zu. Gesundheitseinrichtungen sollten, damit sie auch für viele Menschen aus der Stadt und der Region erreichbar sind, in der Innenstadt verortet werden.

Ältere Menschen legen großen Wert auf gesundheitliche Betreuung. Aufgrund der hohen Spezialisierung und des anspruchsvollen Geräteeinsatzes kann eine ganzheitliche gesundheitliche Betreuung nur in Oberzentren angeboten werden. Diese oberzentrale Funktion im Gesundheitswesen muss Wetzlar für die Region an Lahn und Dill ausbauen.

Ein innerstädtisches „Medizinisches Versorgungszentrum“ (MVZ), das damit auch für Menschen aus der Region gut zu erreichen ist, würde die Wetzlarer Innenstadt in ihrer multifunktionalen Ausrichtung stärken.

Darin liegt gleichzeitig auch eine Chance für junge Menschen; denn die älteren Mitbürger brauchen persönliche Betreuung. Diese Betreuung geht weit über das medizinisch-technische Personal hinaus. Es geht auch um Pflegepersonal in Alten- und Pflegeeinrichtungen.

Das Oberzentrum „Gesundheitsstadt Wetzlar“ bietet für Wetzlar die Chance, sich auch als Demographiegewinner zu positionieren.



Ohne Verkehrsentlastung ist alles nichts

Das Primärziel, hohe Aufenthaltsqualität in der Wetzlarer Innenstadt anbieten zu können, kann nur erreicht werden, wenn sie vom Durchgangsverkehr entlastet wird.

Verkehr muss sich dem urbanen Leben unterordnen.

Die Verkehrsentlastung der Innenstadt schafft erst die Voraussetzungen, um überhaupt Aufenthalts- und Wohnqualität erreichen zu können und so das Leitbild einer Stadt mit urbaner Lebensqualität realisieren zu können.

Die „Westtangente“ mag von allen schlechten Lösungen die beste sein. Vor allem aber: Sie ist überhaupt ein Ansatz, um die Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu befreien. Nach jahrelangem Stillstand ist jetzt eine beherzte Lösung längst überfällig.



Öffentlicher Raum

Räume sind Angebote an Menschen. Erst Menschen füllen Räume mit Leben und geben ihnen eine eigene Atmosphäre und einen eigenen Charakter.

Es geht um die Schaffung von Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Insbesondere muss ein attraktives Gegengewicht zum halböffentlichen Raum im „Forum“ geboten werden.

Die Funktionen des öffentlichen Raumes sind zu definieren. Auch die Übergänge von privatem und öffentlichem Raum müssen definiert werden.

Die Innenstadt muss sich hell präsentieren, barrierefrei und behindertengerecht, sauber und angstfrei sein.

Es bedarf der „ordnenden Hand“: Heute zeichnen unterschiedlichste Gestaltungselemente und Informationssysteme den öffentlichen Raum aus. Dadurch entsteht ein sehr uneinheitliches Erscheinungsbild. Auch die Quartiere jenseits der „Alten Lahnbrücke“ bis zum „Forum“ brauchen einen Gestaltungsbeirat oder ein Quartiersmanagement, welches sich um solche Belange kümmert.

Plätze müssen als Plätze und nicht als Verkehrsknoten erlebbar werden.

Aufgrund der Dominanz des „Forums“ ist das Interesse externer Investoren und Nutzer am Standort Wetzlar nicht vorhanden. Um Investoren- und Nutzerinteresse zu wecken, müssen daher zunächst inhaltlich attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden. Perspektiven für eine positive, zukunftsfähige Stadtentwicklung müssen formuliert und umgesetzt werden.

Es müssen aber schnellstens auch die Umfeldbedingungen für Investitionen geschaffen werden. So wie bei der Ansiedlung des Einkaufszentrums „Forum“ in einem städtebaulichen Vertrag Investitionen der Stadt Wetzlar zur Schaffung eines für das „Forum“ attraktiven Umfeldes festgelegt wurden, so müssen auch jetzt attraktive Umfeldbedingungen im öffentlichen Raum geschaffen werden.

Diese Investitionen müssen vorauseilen und durch die Stadt Wetzlar getätigt werden, denn externe Investoren sollen, anders als bei der Ansiedlung des „Forums“, erst mit diesen Investitionen in den öffentlichen Raum gelockt werden. So muss die Bahnhofstraße Süd endlich dem Ausbaustandard der Bahnhofstraße Nord angepasst werden, der Buderusplatz bedarf einer attraktiven Gestaltung als Platz, der Karl-Kellner-Ring muss Aufenthaltsqualität erhalten, die Langgasse muss, z.B. durch durchgängige Arkadengänge auf beiden Straßenseiten, aufgewertet werden.

Dem öffentlichen Raum, als Ort der Begegnung und der Kommunikation, kommt im Internetzeitalter eine steigende, statt einer sinkenden Wertschätzung zu. Er ist der Ort, in dem sich urbanes Leben abspielt und gesellschaftliche Erneuerung stattfindet. Im öffentlichen Raum gelten Aufenthalts- und Verhaltensregeln, so dass der öffentliche Raum als „sozialer Lernort“ verstanden werden kann.



Stadtgrün

Eine besondere Rolle spielen Grünflächen im öffentlichen Raum.

Die besondere Qualität des Grünzuges um die Altstadt, der allerdings geschlossen werden sollte, wurde im ISEK Entwurf bereits deutlich hervorgehoben.

Aber auch für die anderen Innenstadtbereiche muss ein Grünflächenkonzept erarbeitet und umgesetzt werden.

Diese Möglichkeit eröffnet sich erst in größerem Stil mit der Verkehrsentlastung der Innenstadt. So bald sich diese abzeichnet, sollte die Neuplanung der Innenstadtquartiere unter dem Aspekt der Grünflächenplanung vorangetrieben werden. Die „grüne“ Bahnhofstraße „Süd“ könnte allerdings schon kurzfristig umgesetzt werden. Die Grünflächenplanung sollte wesentliches Element zur Attraktivitätssteigerung des Buderusplatzes und des Karl-Kellner-Rings werden.



„Junge Stadtkunst“

Die Frage, ob man eine Stadt von morgen plant, wird sich daran messen lassen müssen, wie ernsthaft man heute den Bedürfnissen junger Bürger Rechnung trägt.

Zur Urbanität gehören junge Menschen mit ihren Ideen und ihren Kommunikationsbedürfnissen. Eine Form des Sich-Darstellens besteht in Graffitis.

Für viele Städte stellt dies ein großes Problem dar. Auch für Wetzlar sind Graffitis eine Herausforderung. Anders als in anderen Städten hat man früh den Sprayern Wände zur freien Gestaltung überlassen. Einige Stationen des Optikparcours sind von Graffiti-Künstlern gestaltet und so vor wildem Sprayen verschont worden.

„Junger Stadtkunst“, dazu gehören Graffiti ebenso wie der aktuelle Trend, Bäume, Geländer, Lichtmasten etc. „einzustricken“, sollte Raum gegeben werden. So manche triste Betonwand kann neue Aufmerksamkeit erfahren.

In diesem Zusammenhang steht „junge Stadtkunst“ synonym für die Bedürfnisse junger Bürger. Diese Bedürfnisse zu erkennen und anzuerkennen, sollte alle Mühe und Aufmerksamkeit wert sein. Junge Bürger zum mit diskutieren und mitmachen zu bewegen, wird eigene Anstrengungen erfordern.



Das Miteinander der Verkehre

Dem „Ruhenden Verkehr“ kommt in einer Stadt eine wichtige Funktion zu. Bürger und Gäste wollen die Innenstadt schnell und einfach anfahren und ihren PKW dann bequem abstellen, um ihr Ziel schließlich zu Fuß vom Parkplatz her erreichen zu können. Das Einkaufszentrum „Forum“ zeigt idealtypisch wie auf diese Bedürfnisse der Besucher eingegangen wird und wie die Besucher des „Forums“ das Einkaufzentrum auch gerade deswegen schätzen. Auch hier gilt: Wenn die Innenstadt ein wirkliches Gleich- und Gegengewicht und eine attraktive Ergänzung zum Forum bilden will, dann muss auch sie schnell und einfach erreichbar sein.

Die Flächen mit hoher Erlebnisqualität müssen den Menschen und nicht den Pkw`s vorbehalten sein. „Parkplätze mit Lahnblick“ zeigen falsche Prioritätensetzung. Parkplatznutzer sind auch immer dann bereit, hohe Kosten für das Abstellen ihres Fahrzeuges in Form von Parkgebühren zu akzeptieren, wenn die Ziele, die angefahren werden, hohe Attraktivität versprechen. Die Entwicklung einer attraktiven Innenstadt bietet damit auch die Voraussetzungen, Parkmöglichkeiten zu schaffen, deren Erstellung aufwendiger und mit höheren Kosten verbunden ist. Tiefgaragen im Bereich der Konrad-Adenauer-Promenade und der Avignonanlage sind unter diesem Aspekt ebenso wie auf dem heutigen Lahnhof zu prüfen.

Bei steigender Attraktivität des Innenstadtangebotes wird auch die Nachfrage nach Parkraum steigen. Gelingt es die Innenstadt vom Forum bis zur Altstadt wieder zu beleben, dann wird das heute noch als ausreichend empfundene Parkplatzangebot an seine Grenzen kommen und die Stadt vor neue Herausforderungen stellen.

Dem Individualverkehr muss ein attraktives Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs entgegen gesetzt werden. Das Beispiel der belgischen Stadt Hasselt zeigt, wie ein gelungenes System von peripheren Parkplätzen im Verbund mit einem gut getakteten Shuttle-Service zu einer Verkehrsentlastung der Innenstadt führen kann.

Konzepte für Carsharing müssen entwickelt werden.

Je attraktiver die Alternativen zum Individualverkehr sind, umso überflüssiger wird der Wunsch nach individueller Anreise.

Ganz fatal ist das Signal, welches davon ausgeht, dass Zielsetzungen des ISEK Entwurfs schon in der Diskussionsphase durch konkrete Baumaßnahmen konterkariert werden.

Im ISEK Entwurf (Seite 73) wird ausgeführt, dass neue Stellplatzanlagen bevorzugt als Tiefgaragen auszuführen sind. Die Diskussion zum ISEK ist noch in vollem Gange und die Bagger zerstören eine bereits attraktive Grünfläche im Bereich der Pontonbrücke zwischen Lahn und Langgasse, um Platz für Parkplätze für die stadteigene Wohnungsgesellschaft WWG und für das temporär aufzustellende Polizeizelt im Zuge des Hessentages zu schaffen.

Alternativ hätte man den eigenen Zielsetzungen des ISEK folgend über die Schaffung weiterer unterirdischer Parkplätze im Bereich des Haarplatzes offensiv nachdenken müssen. Das Abstellen von Mitarbeiter- oder Bedienstetenfahrzeugen auf der nahe gelegenen Bachweide wäre auch noch zumutbar gewesen.

Jeder private Eigentümer ist aufgefordert, bei Rodung von Bäumen für Ersatzpflanzungen zu sorgen. Ebenso wird bei der Ausweisung von Neubaugebieten, der Bepflanzung in den Bebauungsplänen hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Einer Politik mit „grüner Handschrift“ folgend ist davon auszugehen, dass die Stadt Wetzlar bei den Ersatzpflanzungen mit gutem Beispiel voran geht.



Die ökologisch ausgerichtete Stadt

Eine weit in die Zukunft gerichtete Stadtplanung muss sich auch daran messen lassen, wie mit vorhandenen Ressourcen schonend umgegangen wird. Einer Stadt kommt daher eine Vorbildfunktion zu. Unter der rot-grünen Koalition wurde die Stromlieferung für den städtischen Bedarf so umgestellt, dass nur noch Strom aus regenerativen Energien abgenommen wird. Dies sollte auch andere Abnehmer veranlassen, ihre Stromlieferung zu überdenken.

Private Akteure sollten auch in anderen Bereichen animiert werden, eigene Ideen im Umgang mit den begrenzten Naturressourcen zu entwickeln und umzusetzen.

Ökologisch ausgerichtete Projekte (z.B. Beleuchtung in öffentlichen Räumen mit LED, etc.) müssen identifiziert, auf ihre Realisierbarkeit hin untersucht und, wenn möglich, umgesetzt werden.

Auch hier ist die Stadt Wetzlar als Vorbild gefragt.



Distanz überwinden

Eine der großen Herausforderungen in der Wetzlarer Innenstadt besteht darin, die Distanz zwischen „Forum“ und Altstadt zu überwinden. Zwischen „Forum“ und dem Schillerplatz in der Altstadt liegen fast 1.700 Meter.

Das Citybus-Konzept wurde entwickelt, um diese Distanz leichter überwinden zu können. Der City-Bus muss für junge Menschen attraktiver gestaltet werden. Vor allem müssen aber attraktive Angebote an den Haltepunkten die jungen Menschen anlocken.

Die Distanz zwischen „Forum“ und Altstadt muss mit Erlebnis- und mit Aufenthaltsqualität verbunden sein, damit der Passant sich wohlfühlt und auf diesem langen Weg positive Eindrücke „mitnimmt“.



Vorhandene Strukturen prüfen und stärken

Die „Drogerie Müller“ am Buderusplatz ist im innerstädtischen Einzelhandel herausragend. Wetzlar hatte vor Jahren zwei Kaufhäuser, die nacheinander geschlossen wurden. Viele Wetzlarer bedauern dies noch heute. „Müller Drogerie“ bietet aber auch heute noch ein Sortiment wie es für Kleinkaufhäuser typisch ist. Kernsortiment ist sicher der Drogeriebereich. Hinzu kommen aber gut sortierte Spielwaren-, CD-, Schreibwaren- und Reformhaussortimente. Es wäre wünschenswert, wenn die Fassade des eigentümergeführten Hauses schon dem Anspruch an das gehobene Sortiment stärker Rechnung tragen würde.

Die Erfahrung mit dem ebenfalls früher eigentümergeführten C&A Haus in der Langgasse zeigt, dass es für einen Einzelhändler eine Option ist, dem eigenen Standort den Rücken zu zukehren und sich fremd einzumieten, wie es C&A schon vor Jahren im Herkules Center getan hat.

Eine solche Entwicklung ist am Buderusplatz unbedingt im engen Dialog mit „Müller Drogerie“ zu vermeiden. So lange keine endgültige Lösung für den Buderusplatz gefunden wurde (dies hängt wesentlich von der Verkehrsentlastung am Karl-Kellner-Ring ab), sollten zwischenzeitlich –ohne das Endziel, den Buderusplatz als attraktiven Platz zu gestalten- Parkplätze in Qualität und Quantität so vor „Müller Drogerie“ im Dialog mit den Anliegern angeordnet werden, dass dieser Einzelhandelsanbieter den Standort und das Umfeld stärken kann.

Auch die Stadt Wetzlar muss sich der Realität stellen, dass filialisierende Discounteinzelhandelsangebote zu Lasten des Facheinzelhandels auf dem weiteren Vormarsch sind. Eine wichtige Herausforderung besteht darin den Filialeinzelhandel mit seiner standortübergreifenden Interessenlage für Wetzlar als Partner zu gewinnen. Das bedarf der intensiven Kommunikation und Betreuung dieser für jede Stadt zunehmend noch wichtiger werdenden Partner. Dies ist auch im Interesse der verbliebenen Facheinzelhändler.

Der im ISEK erarbeitete Vorschlag, in der Altstadt Flächen zusammen zu legen, geht in die falsche Richtung. Damit würden Flächengrößen entstehen, die für den Filialeinzelhandel attraktiv sind. Diese Flächenzusammenlegung scheitert schon an der Topographie in der Altstadt. Entscheidend ist aber, dass es in Wetzlar im Gegensatz zu anderen Städten gelungen ist, in der Altstadt Raumangebote für den Facheinzelhandel zu erhalten. Raumgebote für den Filialeinzelhandel sind in den Quartieren zwischen „Alter Lahnbrücke“ und „Forum“ ausreichend vorhanden.

In der Altstadt werden erdgeschossig kleinteilige Flächen angeboten. Von der Langgasse bis zur Bahnhofstraße werden die erdgeschossig zur Verfügung stehenden Flächen immer größer und entsprechen den heutigen Flächenangeboten der Einzelhändler. Jedes Quartier hat seinen eigenen Charakter, den es gilt, stärker heraus zu arbeiten. Jedes Quartier muss in seiner Vielfalt so gestärkt werden, dass die Innenstadt als attraktives Ganzes ein besonderer Anziehungspunkt wird.

Eine besondere Herausforderung für viele Städte, auch für Wetzlar, besteht im ungebremsten Ansiedlungsverlangen nach Spielotheken. Spielotheken sind dann als problematisch einzustufen, wenn sie das Stadtbild prägen oder gar dominieren. Die bisherige restriktive Ansiedlungspolitik der Stadt Wetzlar, die vornehmlich darin bestand, Spielotheken, wenn überhaupt in der Innenstadt, dann nur in den Nicht-Erdgeschossen zu platzieren, so dass sie nicht unmittelbar in das Betrachterblickfeld fallen, ist daher nachzuvollziehen. Sündenfälle sind allerdings die Neueröffnungen der Spielotheken in der Langgasse 25, der Garbenheimer Straße und am ehemaligen Busbahnhof.

Die Stadt Gießen ist hinsichtlich der Genehmigungspraxis von Vergnügungsstätten in die Offensive gegangen und hat sich dabei von einigen bemerkenswerten Gedanken leiten lassen. Grundsätzlich geht man in Gießen davon aus, dass Vergnügungsstätten auch zur Lebensrealität gehören und deshalb auch in der Innenstadt nicht gänzlich verboten werden sollen und können. Um der städtebauliche Dominanz von Vergnügungsstätten und Spielhallen entgegen zu wirken, will man aber im Innenstadtbereich die Ansiedlungen von Vergnügungsstätten und insbesondere Spielhallen auf die Nicht-Erdgeschosse, also Unter- oder Obergeschosse beschränken, wodurch deren städtebauliche Präsenz zurücktritt. In Wetzlar ist dies beispielsweise bei der Merkur Spielstätte im ehemaligen Kaufhaus Union so verwirklicht worden.



Städtebauliche Qualität sichern

Auch während des Prozesses, ein Innenstadtentwicklungskonzept zu verabschieden und dann auf kleinteilige Räume herunter zu brechen, bleibt die Welt nicht stehen. Die Grundzüge der Stadtentwicklung werden zunächst großmaßstäblich beschrieben und müssen dann in Einzelprojekten konkretisiert und umgesetzt werden. Dies wird ein Prozess sein, der die kommenden Jahre bestimmt.

In der Zeit dazwischen, also der Zeit des Diskussions-, der Konkretisierungs- und des konzeptionellen Umsetzungsprozesses kann es zu unbeeinflussbaren negativen Wirkungen (z.B. Schließung strategisch wichtiger Einzelhandelsgeschäfte u.a.) kommen. Ebenso wären Investorenanfragen denkbar.

Daher muss in dieser Zwischenzeit aktiv nach Lösungen gesucht werden, die einerseits die Ziele der Stadtentwicklung sichern und andererseits Investoreninteressen, wenn möglich, so „unter einen Hut bringen“, dass städtebauliche Qualität als oberste Prämisse in jedem Fall gesichert ist.

Eines der wesentlichen Instrumente zur Sicherung der städtebaulichen Qualität im Falle der Neuausrichtung eines Standortes oder Quartiers durch Aufstellungsbeschluss eines Bebauungsplanes besteht in der automatischen Verfügung einer Veränderungssperre. Das ist sicher für einen Investor sehr unangenehm, wird aber üblicherweise von Kommunen landauf, landab nicht weiter berücksichtigt. Auf der anderen Seite eröffnet die Einleitung eines geordneten Prozesses Investoren die Möglichkeit, dass deren Projekte unter allen Aspekten beleuchtet, in die zukünftige Entwicklung eines Standortes und des Quartiers harmonisch einfügen zu können.

Ganz konkret steht die Stadt Wetzlar bei dem Investorenvorschlag zur Neubebauung des C&A Areals in der Langgasse vor der Herausforderung, Stadtentwicklungsziele endgültig zu formulieren und zu verabschieden und gleichzeitig verantwortungsvoll mit der bestehenden Investorenanfrage umzugehen.

Den Investoren war bekannt, dass das ISEK derzeit diskutiert wird und auch gerade den Bereich umfasst, welcher das von ihnen erworbene Grundstück beinhaltet. Wenn Bürger jetzt die Einleitung eines nachvollziehbaren Verfahrens zur Planungs- und Baurechtschaffung einfordern, der ihnen auch die Möglichkeit der Beteiligung einräumt, dann handelt es sich aus Investorensicht um ein Risiko, dass zum Zeitpunkt des Grunderwerbs absehbar und damit als bekannt vorausgesetzt werden musste. Aufgrund des Grundstückskaufpreises in der Größenordnung von 500 T€ und den Chancen, die sich die Investorengruppe ausrechnet, ist es nicht unbillig, wenn die Stadt Wetzlar, der Sicherung der städtebaulichen Qualität eine höhere Priorität als Investoreninteressen zubilligt. Dies umso mehr als auch aus Investorensicht jeder Anschein der „Vetternwirtschaft“ abträglich ist.

Der im Zuge dieses Projektes geplante Rückbau von Verkaufsflächen von 2000 auf 300 Quadratmeter zu ebenerdigen Parkplätzen (der Investor kann so mit geringem Aufwand auf ein „Parkhaus“ zugreifen und spart sich eine aufwändige Tiefgarage) bedeutet den Todesstoß für die ehemals pulsierende „Einkaufsstraße Langgasse“, da in der Langgasse zukünftig kein attraktives Flächenangebot für einen Ankereinzelhändler vorhanden sein wird. Negative Kettenreaktionen auf angrenzende Quartiere sind nicht abzusehen.

Es ist nicht nur nicht gewollt, sondern geradezu beabsichtigt, dass weitere Investoren im Anschluss an das C&A Areal ebenfalls weitere anspruchsvolle Wohngebäude errichten. Mit einer möglichen Freigabe der vorgelegten Planung präjudiziert man also weit mehr als nur dieses Bauvorhaben. Hinzu kommt, dass weitere Gebäude gänzlich neue Anforderungen an die Erschließung stellen, so dass auch diese Frage schon mit der Neubebauung des C&A Areal behandelt werden muss.

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Strukturfragen nicht. Die Architektur ist letzten Endes eine individuell oder von Generation zu Generation neu zu entscheidende Frage. Wie beispielsweise das „Stadthaus am Dom“ zeigt, werden exponierte Gebäude von Generation zu Generation sehr unterschiedlich bewertet.

Die Höhenentwicklung des Bebauungsvorschlages ist eine Strukturfrage. In der Öffentlichkeit kann der Vorschlag eines 7-geschossigen Gebäudes nicht nachvollzogen werden, zumal beim angrenzenden 3-geschossigen Wohnungsbauprojekt die Erschließung des letzten Geschosses mit einem Aufzug an der Höhe scheiterte.

Die Stadtsilhouette des Quartiers Langgasse und Altstadt sollte als Maßstab herangezogen werden: Im Quartier Langgasse ist zu entscheiden, wie in diesem Zusammenhang mit der filigranen Hospitalkirche umgegangen werden soll. Unter Einbeziehung der Altstadtsilhouette ist zu fragen, ob der Dom das alleinige in der Höhe bestimmende Gebäude bleiben soll.

Besonders bedauerlich ist, dass die Stadt Wetzlar nicht frühzeitig (als Investoren weit vor Vollzug des Kaufaktes Bebauungsmöglichkeiten ausloteten), spätestens aber im Rahmen des gesetzlichen Vorkaufsrechtes nicht aktiv geworden ist und das für die Stadtentwicklung strategisch wichtige Grundstück erworben hat. Dann hätte die Möglichkeit der Auslobung eines qualitätssichernden kombinierten Architekten- und Investorenwettbewerbs bestanden oder die Stadt hätte das C&A Areal in einen Grundstückspool für ein großräumiges Wettbewerbsverfahren einbringen können (siehe „Wie es weiter gehen könnte“).

Gerade bei einem großräumigen Wettbewerbsverfahren wie beim „Wettbewerblichen Dialog“ in Hanau hätte die Chance bestanden, auch das Ziel der Belebung der Handelslandschaft in der Langgasse zu verfolgen. Der Bebauungsvorschlag der jetzigen Eigentümergruppe sieht einen drastischen Rückbau der Handelsflächen zugunsten von Parkflächen vor, der für die Zukunft die Möglichkeit verbaut, großflächigeren Einzelhandel als Anker und Magneten in der Langgasse anzusiedeln.

Wünschenswert ist, dass die Stadt Wetzlar unter Einbeziehung externer Kompetenzen und der Bürger eine Instanz schafft, die es sich nicht nur in der Zwischenzeit des ISEK Prozesses, sondern auch darüber hinaus, zur Aufgabe macht, städtebauliche Qualität zu sichern.

Grundsätzlich haben mittel- und langfristige Stadtentwicklungsziele Vorrang vor kurzfristigen Einzelinvestoreninteressen!



Die Wohlfühlstadt

Die eigene Haut wird häufig als erste, die Kleidung als zweite und die Raumhülle als dritte Haut bezeichnet. Dieses Bild trägt dem Anspruch Rechnung, sich in seiner Haut wohl fühlen zu wollen. Es unterstreicht auch den Anspruch jüngerer Generationen, sich durch Konsum in Textilien zu verwirklichen. Das Bild zeigt aber auch wie wichtig es ist, dass Stadtentwicklung sich daran orientiert, Räume in Gebäuden oder aber auch öffentliche Räume zu schaffen, in denen sich Menschen wohl fühlen.



Sicherheit für künftige Investoren

Schon bei der Einleitung des ISEK Prozesses wurden die Anforderungen an die Flexibilität einer Innenstadtkonzeption beschworen. Soweit damit der Vorstoß unternommen werden soll, die in einem aufwendigen Prozess entwickelte Konzeption zu unterlaufen, um Einzelinvestoreninteressen so den Vorrang einzuräumen, muss diesem Vorgehen eine klare Absage erteilt werden.

Angesichts unserer immer schnelllebigeren Zeit ist es keine Frage, dass das ISEK in seinem einmal gefundenen „Geist“ fortgeschrieben werden muss und sich so in einer ständigen Weiterentwicklung befindet.

Das ISEK bietet einen Rahmen für die Stadtentwicklung. Potentiellen Investoren mag an der einen oder anderen Stelle dieser Rahmen zu wenig Spielraum bieten. Es sollte das Ziel sein, diese Investoren von der Zukunftsfähigkeit des ISEK selbstbewusst zu überzeugen statt angesichts von Investitionsinteressen die im ISEK gefundenen Kompromisse über Bord zu werfen. Das, was heute Investoren als zu wenig flexibel erscheint, bietet allen Investoren Sicherheit für ihre eigenen Investitionen! Das ISEK muss einen Rahmen bieten, auf den sich Investoren zu jedem Zeitpunkt verlassen können. Sonst muss derjenige, der heute diesen sicheren Rahmen zu seinen Gunsten beeinflusst, um seine Investorenrolle zu stärken, morgen damit rechnen, dass das andere zu seinem Nachteil tun und damit seine Investition entwerten. Das schreckt Investoren ab!

Derzeit beteiligen sich kaum Immobilieneigentümer und Einzelhändler am ISEK-Prozess. Um möglichst viele Eigentümer, Einzelhändler und andere Anbieter von attraktiven Angeboten ins Boot zu holen, müssen für alle Quartiere Perspektiven geboten werden. Kein Quartier darf nur Gewinner oder nur Verlierer sein. Es bedarf eines ausgewogenen Interessenausgleichs.



Lernen von anderen

Gezielt sollte die „Task Force“ damit beauftragt werden zu erheben, welche Städte vorbildlich Stadtentwicklung betrieben haben, und deren Erfolgsfaktoren zu identifizieren. Nach dem Motto „Kapieren statt kopieren“ sollte die Übertragbarkeit auf Wetzlar herausgearbeitet werden.

Die sauerländische Stadt Altena hat schon heute die Alterstruktur, die für Deutschland erst für 2018 prognostiziert wird (1970: 30.000 Einwohner, aktuell 18.000 Einwohner, davon 37% über 50 Jahre alt, Prognose für 2018: 15.000 Einwohner). Hier bietet sich die Chance, aus der demographischen Veränderung Schlüsse zu ziehen. Ein anderes Beispiel ist Duderstadt im Eichsfeld. Duderstadt scheint vorbildlich in der Bürgerbeteiligung. In Nürtingen am Neckar feiert man gerade „20 Jahre Bürgerbeteiligung“. Als vorbildlich im Stadtmarketing wird immer das niederländische Maastricht genannt.

Direkt vor der Haustür Wetzlars zeigt die Gemeinde Solms, wie Bürger in einen Erneuerungsprozess integriert werden können.



Wie es weiter gehen könnte

Wenn sich die Stadt Wetzlar nicht aktiv in der Stadtentwicklung positioniert, dann verselbständigt sich die Entwicklung. Der Umbau und die Erweiterung des „Herkules-Centers“ hat eindrucksvoll mit der Abwerbung des attraktiven Textilanbieters H&M vom jetzigen zum Buderusplatz orientierten Standort ins „Herkules-Center“ gezeigt, wie sich Stadtentwicklung zu ihrem Nachteil verselbständigen kann. Der Erfolg des Umbaus des „Herkules-Centers“ bleibt abzuwarten. Die beiden Ankermieter, die Textilanbieter C&A und H&M orientieren sich mit ihren Läden entlang der Bahnhofstraße. Die Herausforderung besteht darin, die Passanten in die Tiefe des Centers zu ziehen. Gelingt dies nicht, so ist das ein doppelter Tiefschlag für die Bahnhofstrasse.

Um in der Innenstadtentwicklung nicht „Getriebener“ zu sein, sondern vielmehr auf dem „Fahrersitz“ positioniert zu sein, bedarf es des strategischen Einsatzes aller Ressourcen einer Stadt über die Instrumente des Planungs- und Baurechtes bis hin zu den bereits im Eigentum der Stadt Wetzlar befindlichen Grundstücken oder dem finanziellen Aufwand für zu erwerbende Grundstücke (Ressourcenschonend können Grundstücke und Immobilien auch über Optionsverträge in den Zugriff der Stadt Wetzlar genommen werden.)

Über die Bevorratung strategischer Grundstücke eröffnet sich die Stadt Wetzlar die Möglichkeiten, einen bundesweiten Architekten- und Investorenwettbewerb so auszuloben, dass mehrere Standorte eines „Grundstückspools“ aufeinander abgestimmt, neuen Nutzungen zugeführt werden können, die so auf die Innenstadt positiv stärker ausstrahlen können als bei Einzelausschreibung isolierter Standorte. Die Grundstücksverwertungen ermöglichen weiteren finanziellen Spielraum. Hieraus können dann Pilot- und Initialprojekte finanziert werden, die weitere Investitionen anstoßen.

Erlöse aus der Verwertung der Konversionsflächen „Westend“ und „Spilburg“ können heute sinnvoll in der Innenstadt verwandt werden. Die Kompetenzen der städtischen Entwicklungs- und Bestandsgesellschaften sind ebenfalls gefragt.

Beispielhaft sei der „Wettbewerbliche Dialog“, der von der Stadt Hanau ausgeschrieben wurde, genannt.

In weiteren Schritten muss das ISEK nun auf kleinere Handlungsräume runter gebrochen werden, um am Ende zu überprüfen, ob die entwickelten Einzelideen wieder ein homogenes Stadtentwicklungsziel ergeben. Dann müssen kurz-, mittel- und langfristige Umsetzungsstrategien entwickelt werden, die in weiteren Schritten konsequent unter Beteiligung der Bürger realisiert werden.

Ziel muss es sein, robuste Stadtstrukturen zu schaffen.



Eine Innenstadt mit vielen Gesichtern

Wetzlar ist mehr als nur das Einkaufzentrum „Forum“. Wetzlar ist auch mehr als nur Dom und Altstadt.

Wetzlar ist eine traditionsreiche Stadt mit einer facettenreichen Stadtkultur und einer lebendigen Stadtgesellschaft.

Letztlich: Die Wetzlarer Stadtkultur und die Wetzlarer Stadtgesellschaft - das sind alle Wetzlarer in ihrer Vielfältigkeit!

Starke Stadtkulturen und Stadtgesellschaften schließen ein statt aus! Die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, von Singles und Familien, von alten Menschen, von Migranten und Menschen mit Behinderungen müssen berücksichtigt werden.

Die Stadtkultur, also alles das, was eine Stadtgesellschaft hervorbringt, von Bauten, Plätzen bis hin zu Angeboten aller Art, muss immer wieder gepflegt werden. Es geht um die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umfeld, die der Mensch gestaltet.

Die Verwendung des Begriffs „Stadtkultur“ steht auch für einen bestimmten Qualitätsanspruch.

Stadtkultur und Stadtgesellschaft sind einem stetigen Wandel ausgesetzt.

Innenstädte werden häufig als die „Gesichter ihrer Stadt“ bezeichnet. Gesichter stehen für Individualität. Gesichter zeigen Profil. – Gesichter müssen gepflegt und angepasst werden. Je älter ein Gesicht wird, desto mehr Geschichten erzählt es. Jeder Mensch, unabhängig davon, woher er kommt, wofür er steht und wohin er will, hat allen Grund, stolz auf sein Gesicht zu sein.

Wetzlar hat allen Grund stolz auf sein Gesicht, auf seine Innenstadt zu sein. Das entbindet keinen Wetzlarer, jeden Tag aufs Neue um seine stolze Innenstadt zu kämpfen und an ihr zu arbeiten!

Professor Dr.-Ing. Jürgen Erbach


Stand: 29. März 2012